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VII. Bischofsabsetzungen bis zur Mitte des 10. Jahrhunderts
wenig Wert daraufgelegt, Rituale und Zeremonien wie Salbungen, Verleih von
Regalien, Reichsversammlungen, Übergabe von Geschenken aufzuzeichnen,
durch die Annalisten und Historiographen des 9. Jahrhunderts königliche Su-
prematie vermittelt hatten738. Für Flodoard seien die politischen Auseinander-
setzungen des 10. Jahrhunderts Konflikte unter Gleichrangigen, nicht unter
Königen und Untergebenen739.
Richer von Reims nahm sich in weiten Teilen für seine Historia die Annalen
und die Historia Remensis Ecclesiae als Vorlage. Doch ist Richer, der in den
späten 990er Jahren schrieb, noch weiter von der Karolingerzeit entfernt als
Flodoard. Wenn man bei Flodoard eine Vermittlung des Pariser Modells über
eigenes Erleben durch Teilnahme an der Synode von Trosly und über Heriveus
von Reims annimmt, so ist dies bei Richer nie diskutiert worden. Flodoard und
Richer dienen in der Forschung zu Konfliktführungen und -lösungen an einigen
Stellen dazu, eine Entwicklung innerhalb des 10. Jahrhunderts in Westfranken zu
illustrieren. Nur wie dieser Befund zu deuten ist, bleibt offen. Die übereinstim-
mende These der angio-amerikanischen Konfliktforschung und der deutschen
von Gerd Althoff beeinflussten Forschung, lautet, dass bei Flodoard Rituale der
Konfliktlösung zwischen König und seinen Großen wie demütige Bitte/deditio
keine große Rolle spielen, bei Richer jedoch breiten Raum einnehmen. Vertreter
der beiden Richtungen ziehen jedoch entgegengesetzte Schlüsse daraus: Geoff-
rey Koziol sieht Flodoard in der Zeit der „anarchie feodale" verankert, König
und Große seien gleichrangig und erst unter Robert dem Frommen, in der Zeit, in
der Richer sein Werk verfasste, sei karolingisches Ordnungsdenken wiederen-
deckt worden740. Ingmar Krause hingegen sieht ottonische Vorbilder am Werk.
Dass Richer so viel Wert auf die genannten Rituale lege, zeige den ottonischen
Einfluss auf die Politik im Westfrankenreich Ende des 10. Jahrhunderts741.
Hier soll nun der Fokus nicht mehr auf das Königtum und die Rituale zur
Konfliktbeilegung („Spielregeln" nach Althoff) in einer vermeintlichen „Herr-
schaft ohne Staat" gelegt werden, sondern auf die Wahrnehmung von Bischöfen
im 10. Jahrhundert und die Interdependenz von Vorstellungen und Inszenie-
rungen. Eine andere Perspektive wird somit gewählt, um den angenommenen
Gegensatz zwischen dem 9. und 10. Jahrhundert differenzierter zu beurteilen.
1.3. Vorgehensweise
Zunächst wird die Darstellung des Ebo-Falls bei Flodoard untersucht, um im
Anschluss Flodoards Behandlung der Bischofsabsetzung zu analysieren, die er
als Zeitgenosse miterlebte.
738 Lauer, Annales, S. 101 mit Anm. 9; Koziol, Begging Pardon, S. 110.
739 Koziol, Begging Pardon, S. 111.
740 Ebd., S. 117.
741 Krause, Konflikt, S. 190 spricht von einer „ideellen Nähe" Richers zum ostfränkisch-deutschen
Reich:
VII. Bischofsabsetzungen bis zur Mitte des 10. Jahrhunderts
wenig Wert daraufgelegt, Rituale und Zeremonien wie Salbungen, Verleih von
Regalien, Reichsversammlungen, Übergabe von Geschenken aufzuzeichnen,
durch die Annalisten und Historiographen des 9. Jahrhunderts königliche Su-
prematie vermittelt hatten738. Für Flodoard seien die politischen Auseinander-
setzungen des 10. Jahrhunderts Konflikte unter Gleichrangigen, nicht unter
Königen und Untergebenen739.
Richer von Reims nahm sich in weiten Teilen für seine Historia die Annalen
und die Historia Remensis Ecclesiae als Vorlage. Doch ist Richer, der in den
späten 990er Jahren schrieb, noch weiter von der Karolingerzeit entfernt als
Flodoard. Wenn man bei Flodoard eine Vermittlung des Pariser Modells über
eigenes Erleben durch Teilnahme an der Synode von Trosly und über Heriveus
von Reims annimmt, so ist dies bei Richer nie diskutiert worden. Flodoard und
Richer dienen in der Forschung zu Konfliktführungen und -lösungen an einigen
Stellen dazu, eine Entwicklung innerhalb des 10. Jahrhunderts in Westfranken zu
illustrieren. Nur wie dieser Befund zu deuten ist, bleibt offen. Die übereinstim-
mende These der angio-amerikanischen Konfliktforschung und der deutschen
von Gerd Althoff beeinflussten Forschung, lautet, dass bei Flodoard Rituale der
Konfliktlösung zwischen König und seinen Großen wie demütige Bitte/deditio
keine große Rolle spielen, bei Richer jedoch breiten Raum einnehmen. Vertreter
der beiden Richtungen ziehen jedoch entgegengesetzte Schlüsse daraus: Geoff-
rey Koziol sieht Flodoard in der Zeit der „anarchie feodale" verankert, König
und Große seien gleichrangig und erst unter Robert dem Frommen, in der Zeit, in
der Richer sein Werk verfasste, sei karolingisches Ordnungsdenken wiederen-
deckt worden740. Ingmar Krause hingegen sieht ottonische Vorbilder am Werk.
Dass Richer so viel Wert auf die genannten Rituale lege, zeige den ottonischen
Einfluss auf die Politik im Westfrankenreich Ende des 10. Jahrhunderts741.
Hier soll nun der Fokus nicht mehr auf das Königtum und die Rituale zur
Konfliktbeilegung („Spielregeln" nach Althoff) in einer vermeintlichen „Herr-
schaft ohne Staat" gelegt werden, sondern auf die Wahrnehmung von Bischöfen
im 10. Jahrhundert und die Interdependenz von Vorstellungen und Inszenie-
rungen. Eine andere Perspektive wird somit gewählt, um den angenommenen
Gegensatz zwischen dem 9. und 10. Jahrhundert differenzierter zu beurteilen.
1.3. Vorgehensweise
Zunächst wird die Darstellung des Ebo-Falls bei Flodoard untersucht, um im
Anschluss Flodoards Behandlung der Bischofsabsetzung zu analysieren, die er
als Zeitgenosse miterlebte.
738 Lauer, Annales, S. 101 mit Anm. 9; Koziol, Begging Pardon, S. 110.
739 Koziol, Begging Pardon, S. 111.
740 Ebd., S. 117.
741 Krause, Konflikt, S. 190 spricht von einer „ideellen Nähe" Richers zum ostfränkisch-deutschen
Reich: