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Kleinjung, Christine; Johannes Gutenberg-Universität Mainz [Mitarb.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 11): Bischofsabsetzungen und Bischofsbild: Texte - Praktiken - Deutungen in der politischen Kultur des westfränkisch-französischen Reichs 835-ca. 1030 — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2021

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.74403#0223
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VIII. Wissensaufbereitung und Deutungskämpfe: Arnulf von Reims

Eine besondere Rolle für die Untersuchung spielen die Rituale, die bei der
Absetzung zum Einsatz kamen. Diese performative Seite des Prozesses steht in
Wechselwirkung mit der Reflexionsebene: diesen Handlungen liegen Vorstel-
lungen vom Bischofsamt zu Grunde, die Gerbert und die Teilnehmer der Synode
teilten. Die Form der Absetzung wurde nach dem Vorbild Ebos von Reims ge-
wählt: Mitsamt Arnulfs geheimer Beichte vor Mitbrüdern an einem abge-
schlossenen Ort (Krypta), dem öffentlichen Sündenbekenntnis und der Bitte um
Buße wurde Ebos Absetzung von 835 wiederaufgeführt. Es sollte deutlich ge-
macht werden, dass Arnulf sich als unwürdiger Amtsinhaber erwiesen hat. Seine
Vergehen werden im Rahmen der Rituale (und deren Verschriftlichung in den
Akten) unspezifisch als crimen bezeichnet und als Sünde qualifiziert. Arnulfs
Prozess hat starken performativen Charakter. Es findet ein Schauspiel statt, das
verschiedene Stationen umfasst (öffentliche Versammlung, Krypta), die jeweils
eine spezifische Funktion in der Sinngebung des Verfahrens haben.
Dass Arnulf einen Verrat begangen hat, wird in den Erläuterungen und
Deutungen deutlich. Für den Umgang mit diesem Verrat werden kirchenrecht-
liche Normen hinzugezogen. Aber auch der Eid, den er gebrochen haben soll,
wird öffentlich verlesen und das Dokument (ein Chirograph) sogar der Ver-
sammlung gezeigt.
Bei der Form der Absetzung legen Gerbert und die Konzilsteilnehmer großen
Wert darauf, dass sie in Form einer Autodeposition vollzogen wird; Arnulf legt
seine insignia selbst ab926. Sie folgen damit ebenfalls dem karolingischen Vorbild,
das großen Wert auf die Freiwilligkeit legte. Auch die kirchenrechtlichen Vor-
gaben sind eindeutig. Ein Bischof muss selbst den Amtsverzicht erklären.
Die confessio Arnulfs und seine Selbstabsetzung — ob erzwungen oder nicht —
waren die Kernstücke des Verfahrens, das allgemeine Anerkennung finden soll,
worauf oben bereits hingewiesen wurde. Arnulfs confessio fand in der Krypta
statt, für Huth der Beweis, dass er im Geheimen ungestört unter Druck gesetzt
werden konnte. Das mag sein, aber der Ablauf ist nicht gewählt, um ungestört
Willkür walten zu lassen, sondern weil eine Beichte im Geheimen stattfinden
muss und Zeugen die confessio bestätigen mussten. Dieser Ablauf lässt vielmehr
darauf schließen, dass bei der späteren öffentlichen Verlesung auch Laien und
ein breiteres Publikum anwesend waren und die Bischöfe diesen Gegnern Ar-
nulfs das Öffentlichmachen der einzelnen Vergehen verweigerten, um die bi-
schöfliche dignitas zu schonen. Schließlich entsagte Arnulf der erzbischöflichen
Würde, die er missbraucht haben soll. Die Vergehen wurden als Sünden ge-
deutet, das Schuldgeständnis als eine Beichte und Arnulf konnte nach dieser
Interpretation das Amt nicht mehr ausüben. Eindeutiges Vorbild hierfür war die
Ebo-Absetzung.
Von Flodoards Gesamtpräsentation des Ebo-Falls inspiriert, hat Gerbert
großen Wert auf die Performanz gelegt. Es überrascht vielleicht etwas, dass man
ausgerechnet den Ebofall als Vorbild nahm, da sich der Absetzung eine lang-

926 Vgl. dazu Kortüm, Gerbertus qui est Silvester, S. 34 f.
 
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