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VIII. Wissensaufbereitung und Deutungskämpfe: Arnulf von Reims
nötig. Wenn Arnulf die Wahrheit gestanden habe, dass er sich wegen seiner
Vergehen von dem Bischofsamt zurückziehe, dann sei er ein Verbrecher. Wenn er
aber nicht die Wahrheit gesprochen habe, so habe er falsches Zeugnis gegen sich
selbst abgelegt und so gegen die Zehn Gebote verstoßen, denn nicht nur gegen
den Nächsten dürfe man kein falsches Zeugnis ablegen, sondern erst recht nicht
gegen sich selbst975.
Außerdem befahlen die Toletaner Konzilien, die eigene Gesetze zum Schutz
des Königtums (Zitat aus Toledo IV 633 c. 75: pro regum robore) erlassen haben,
dass Arnulf sein honor zu entziehen sei; weil er gestanden habe und überzeugt
wurde. Daher stießen diese (die Konzilsbeschlüsse) ihn ohne Kommunion bis
zum Tag seines Todes in ein ewiges Gefängnis976.
Gerbert meint so gezeigt zu haben, dass dem Recht des Papstes keinerlei
Unrecht zugefügt worden sei. Was aber den Vorwurf angeht, die Könige hätten
Arnulf die Vergebung für seine Sünden gewährt, und er habe folglich nichts
begangen, was nicht verzeihlich sei, hält Gerbert fest, dass die Sorge um das
Seelenheil der Bischöfe allein den Priestern, nicht den Königen anvertraut sei:
Sacerdotibus quippe animarum pontificium, non regibus comissum est977. Nur den
Bischöfen selbst sei die Binde- und Lösegewalt zugestanden worden. Den
nämlich Christus aus den Sünden des Todes zum Leben wiedererwecke, löse der
Priester (absolvit), den, der in seinen eigenen Sünden verharre, binde der Priester.
Das zeige sich an Christus, der Lazarus wiederauferweckt und das zeige sich an
Petrus, der Simon Magnus verdammt.
Gerbert erörtert im Anschluss sein Konzept der bischöflichen Binde- und
Lösegewalt, aus dem er seine Kernargumente für Arnulfs Absetzung geriert.
Denn Arnulf habe gegen einen wichtigen Grundsatz verstoßen: Kein Bischof
dürfe leichtfertig Exkommunikationen aussprechen, was Gerbert mit entspre-
chenden Stellen aus den Homilien und aus dem Register Gregors des Großen
belegt. Diese Stellen hat er z. T. aus Hinkmars 55-Kapitelwerk entnommen, denn
auch im Streit mit Hinkmar von Laon ging es um den Missbrauch der bischöf-
lichen Binde- und Lösegewalt. Arnulf von Reims sei dumm (stultus), wenn er
glaube, dass er von den Königen Absolution für seine Sünden erhalten könne.
Denn da dies ausschließlich den Bischöfen zustehe, bringe er sich selbst in große
Gefahr. Er gefährdet nach Gerberts Darlegung so nämlich sein Seelenheil.
Buße, Beichte, Rekonziliation werden von Gerbert als geeignete Instrumente
mit einem sündigen Bischof umzugehen, angesehen. Ein Amtsverzicht ist in
diesem Kontext in seinen Augen unverzichtbar. Es ist für ihn daher keine Frage
der königlichen Milde oder Gnade gegenüber einem geistlichen Großen, der
untreu geworden ist, sondern es geht um Versöhnung und Wiedergutmachung
im Sinne des Bußdiskurses. Die Rekonziliation und Absolution können nur Bi-
schöfe aufgrund ihrer apostolischen Nachfolge gewährleisten.
975 Ebd. S. 466, 11-16.
976 Ebd., S. 466, 24-26. Vgl. auch die Zitatenreihe aus Toletaner Konzilien in St. Basle.
977 Ebd. S. 467, 5 f.
VIII. Wissensaufbereitung und Deutungskämpfe: Arnulf von Reims
nötig. Wenn Arnulf die Wahrheit gestanden habe, dass er sich wegen seiner
Vergehen von dem Bischofsamt zurückziehe, dann sei er ein Verbrecher. Wenn er
aber nicht die Wahrheit gesprochen habe, so habe er falsches Zeugnis gegen sich
selbst abgelegt und so gegen die Zehn Gebote verstoßen, denn nicht nur gegen
den Nächsten dürfe man kein falsches Zeugnis ablegen, sondern erst recht nicht
gegen sich selbst975.
Außerdem befahlen die Toletaner Konzilien, die eigene Gesetze zum Schutz
des Königtums (Zitat aus Toledo IV 633 c. 75: pro regum robore) erlassen haben,
dass Arnulf sein honor zu entziehen sei; weil er gestanden habe und überzeugt
wurde. Daher stießen diese (die Konzilsbeschlüsse) ihn ohne Kommunion bis
zum Tag seines Todes in ein ewiges Gefängnis976.
Gerbert meint so gezeigt zu haben, dass dem Recht des Papstes keinerlei
Unrecht zugefügt worden sei. Was aber den Vorwurf angeht, die Könige hätten
Arnulf die Vergebung für seine Sünden gewährt, und er habe folglich nichts
begangen, was nicht verzeihlich sei, hält Gerbert fest, dass die Sorge um das
Seelenheil der Bischöfe allein den Priestern, nicht den Königen anvertraut sei:
Sacerdotibus quippe animarum pontificium, non regibus comissum est977. Nur den
Bischöfen selbst sei die Binde- und Lösegewalt zugestanden worden. Den
nämlich Christus aus den Sünden des Todes zum Leben wiedererwecke, löse der
Priester (absolvit), den, der in seinen eigenen Sünden verharre, binde der Priester.
Das zeige sich an Christus, der Lazarus wiederauferweckt und das zeige sich an
Petrus, der Simon Magnus verdammt.
Gerbert erörtert im Anschluss sein Konzept der bischöflichen Binde- und
Lösegewalt, aus dem er seine Kernargumente für Arnulfs Absetzung geriert.
Denn Arnulf habe gegen einen wichtigen Grundsatz verstoßen: Kein Bischof
dürfe leichtfertig Exkommunikationen aussprechen, was Gerbert mit entspre-
chenden Stellen aus den Homilien und aus dem Register Gregors des Großen
belegt. Diese Stellen hat er z. T. aus Hinkmars 55-Kapitelwerk entnommen, denn
auch im Streit mit Hinkmar von Laon ging es um den Missbrauch der bischöf-
lichen Binde- und Lösegewalt. Arnulf von Reims sei dumm (stultus), wenn er
glaube, dass er von den Königen Absolution für seine Sünden erhalten könne.
Denn da dies ausschließlich den Bischöfen zustehe, bringe er sich selbst in große
Gefahr. Er gefährdet nach Gerberts Darlegung so nämlich sein Seelenheil.
Buße, Beichte, Rekonziliation werden von Gerbert als geeignete Instrumente
mit einem sündigen Bischof umzugehen, angesehen. Ein Amtsverzicht ist in
diesem Kontext in seinen Augen unverzichtbar. Es ist für ihn daher keine Frage
der königlichen Milde oder Gnade gegenüber einem geistlichen Großen, der
untreu geworden ist, sondern es geht um Versöhnung und Wiedergutmachung
im Sinne des Bußdiskurses. Die Rekonziliation und Absolution können nur Bi-
schöfe aufgrund ihrer apostolischen Nachfolge gewährleisten.
975 Ebd. S. 466, 11-16.
976 Ebd., S. 466, 24-26. Vgl. auch die Zitatenreihe aus Toletaner Konzilien in St. Basle.
977 Ebd. S. 467, 5 f.