Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 10.1905

DOI Artikel:
Muthesius, Hermann: Die Entwicklung des künstlerischen Gedankens im Hausbau: Vortrag, gehalten auf dem Kongreß der Zentralstelle für Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen in Hagen 1905
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26235#0031

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Ausstellung Deutscher Künstlerbund 1905.

Die entwicklung des künst-

LERISCHEN GEDANKENS IM
HAUSBAU. Vortrag, gehalten auf dem Kon-
greß der Zentralstelle für Arbeiterwohlfahrts-
einrichtungen in Hagen 1905.

Von HERMANN MUTHESIUS.

Wie ein Frühlingswehen durchzieht heute
eine Geistesbewegung unsere Kultur, die, binnen
wenigen Jahren emporgewachsen, schon die
weitesten Bevölkerungskreise zu berühren be-
ginnt: die Bewegung nach einer neuen, har-
monischeren Gestaltung unseres Lebens. Nach
einem Jahrhundert ernster Arbeit, die haupt-
sächlich intellektuelle und wirtschaftliche Werte
zu bilden bestrebt war (einer Arbeit, deren
Früchte uns an manchem Markstein unseres
Entdeckerweges haben triumphieren lassen),
besinnenwir uns eben darauf, daß uns inzwischen
vielleicht doch wichtige Lebensinteressen ge-
schmälert, wertvolle Güter gekürzt worden

sind.

Wir befinden uns in der Lage eines Reich-
gewordenen, den plötzlich das Empfinden an-
kornmt, daß er den Anschluß an das Seelen-
leben der Zeit verloren habe. Zwei Strömungen
sind es, die sich als Reaktionen gegen die

E. R. Weiss, Hagen. Rosen.

Geistesrichtung des alten Jahrhunderts heute
erkennen lassen: eine verstärkte religiöse Nei-
gung und ein neuer künstlerischer Antrieb.
Beide fließen aus derselben Quelle, und beide
zielen auf dasselbe ab: auf eine innere Lebens-
steigerung. Nachdem allzulange die äußere
Lebensbereicherung auf dem Programme der
Zeit gestanden hatte, kehrt sich die heutige
Menschheit wieder langsam nach innen.

Von den beiden Fragen, der religiösen und
der künstlerischen, scheint die künstlerische
fast die kompliziertere zu sein. Denn die bis-
herige Erfahrung hat gezeigt, daß ihr Pfad mit
Irrtümern gepflastert ist. Die künstlerische
Frage ist als solche nicht neu. Von Kunst
hat man seit Jahrzehnten an allen Ecken und
Enden geredet, künstlerische Probleme sind bis
zum Überdruß erörtert worden. Wenn man
aber zurückblickt und sieht, welche Abschweife,
welche Anläufe, welche Veranstaltungen gemacht
worden sind, um Kunst zu machen, so kann
man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß
hier sehr oft eine Verkennung der Tatsachen
eher Unheil als Gutes gebracht hat. Das
achtzehnte Jahrhundert hatte noch eine natür-
liche Kunst, das neunzehnte bekam eine künst-
liche. Aus dem natürlich gewachsenen Baum
war eine Treibhauspflanze geworden, an der
Gelehrte herumdokterten, die man durch alle

VII

257

3
 
Annotationen