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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 10.1905

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Muthesius, Hermann: Die Entwicklung des künstlerischen Gedankens im Hausbau: Vortrag, gehalten auf dem Kongreß der Zentralstelle für Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen in Hagen 1905
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https://doi.org/10.11588/diglit.26235#0034

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Ausstellung Deutscher Künstlerbund 1905.

Robert Hoffmann, Frankfurt. Haus im Schnee.

Zuständen heraus begreiflich. Die bürgerliche
Baukunst, und das ist zum großen Teil die
Hausbaukunst, hantiert noch mit den Äußerlich-
keiten einer gewesenen, vorwiegend der aristo-
kratischen Kultur angehörigen Kunst. Sie ist
noch ungeklärt und unreif. Die Baukunst des
Arbeiterstandes aber ist noch ungeboren. Das
was wir im Arbeiterwohnhausbau sehen, sind
Versuche von Versorgern, zu deren Programm
die Bedürfnisse des Arbeiters mehr geahnt, als
von dem Stande der Arbeiter entwickelt worden
sind. Kein Wunder also, wenn die Resultate
zweifelhaft und jedenfalls sehr buntscheckig sind.

In wesentlichem Vorteil gegenüber der
deutschen gesellschaftlichen Entwicklung befindet
sich die englische, und selbstverständlich muß
sich dieser Vorteil auch in der Baukunst zu er-
kennen geben. England begründete sein bürger-
liches Selbstbewußtsein um Jahrhunderte früher
als Deutschland. Auch die industrielle Ent-
wicklung und der wirtschaftliche Wohlstand
war mit den bürgerlichen Lebensgewohnheiten
drüben längst im Stadium der Reife, als es in

Deutschland noch in den Anfängen war. Die
ruhige prunklose Sicherheit, das behäbige Selbst-
bewußtsein ist es denn auch, was die englische
Hausbaukunst gegenüber der deutschen und der
kontinentalen überhaupt so sehr in den Vorteil
stellt. Man ist über das Parvenustadium, das
mehr scheinen will, als es ist, man ist über die
Neigung zum flitterhaften Aufputz hinaus, man
baut rein sachlich, vernünftig und gesund,
während der deutsche Hausbau sich noch heute
in mehr oder weniger rein formalen Gebilden
erschöpft und noch immer zwischen Ritterburg-
und Palazzo-Imitation hin und her taumelt.

Zeigt aber die bürgerliche Baukunst in Eng-
land ein viel geklärteres Entwicklungsstadium
als in Deutschland, so kann es nicht wunder-
nehmen, daß auch die neueren Versuche, die
gemacht worden sind, um dem vierten Stande,
dem Arbeiter, sein Haus zu geben, in England
auf wirkungskräftigeren Boden fielen als in
Deutschland. Es lohnt der Mühe, einen kurzen
Blick auf die Entwicklung der Gestaltung der
Arbeiterwohnung in England zu werfen, denn
 
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