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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 10.1905

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Scheibler, Ludwig: Franz Schuberts einstimmige Lieder, Gesänge und Balladen mit Texten von Schiller, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.26235#0047

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FRANZ SCHUBERTS EINSTIMMIGE LIEDER.

Marien. Schubert war 1818 vom Sommer bis
in den November hinein zum erstenmal in
Ungarn, als Musiklehrer in der Familie des
Grafen Johann Esterhäzy zu Zelez. — Die
Romantiker treten in der dritten Periode erst
spärlich auf, während für die vierte (Nov. 1818
bis in Anfang 1821) ihre starke Benutzung wesent-
lich ist (beide Schlegel und Novalis).

Den Unterschied zwischen Schuberts zwei-
ter Periode als Liederkomponist und der
dritten finde ich, außer dem besprochenen
Wechsel in der Auswahl der Textdichter, in
Folgendem. Erstens darin, daß er von der
dritten Periode an fast lauter gute oder aus-
gezeichnete Stücke schrieb, seien sie kurz oder
lang, strophisch oder durchkomponiert, während
unter den sehr zahlreichen der zweiten Periode
(die dank der Sorgfalt der schon damals für
seine Lieder begeisterten Freunde, besonders
Albert Stadlers, wohl fast vollständig vorliegen)
noch verhältnismäßig viele mäßige und ge-
ringe waren, besonders unter den kleinen. —
Zweitens tritt der frühere Gegensatz von
wenigen sehr langen Stücken und vielen kurzen
von der dritten Periode an viel mehr zurück.
Aus ihr besitzen wir an Liedern von einer
Seite: 31 Stück; von zwei Seiten: 30; von drei:
14; von vier: 10; von fünf: 8; von sechs: 5; die
noch längeren sind vereinzelt: Elysium von
Schiller: 10 S.; Mahomets Gesang von Göthe:
ursprünglich etwa ebenso lang, doch nur 6 S.
erhalten; Die Nacht von Ossian: 12 S.; Uraniens
Flucht und „Einsamkeit“ von Mayrhofer: je 17 S.
Also auf 61 kurze Lieder (von einer bis zwei
Seiten) kommen 46 mittellange (von 3 bis 5
Seiten) und nur 5 lange (von 10 bis 17 Seiten);
daß wir aus der dritten Periode nur drei Balladen
besitzen, habe ich schon S. 239 II besprochen. —
Drittens wird der Bau regelmäßiger, sym-
metrischer, mit immer weniger Verwendung
von Rezitativen und ganz kurzen Abteilungen,
obschon die Form A B C usw. noch oft vor-
kommt (31 mal). Die ausgezeichnete alte kleine
Arienform A B A (auch I II I) tritt häufiger
auf als bisher (zwanzigmal); von variierenden
Strophenliedern finden sich nur vier (N. 255:
Göthe, ,,An die Türen will ich schleichen“;
285: Metastasio, „Leiden der Trennung“; 318:
Mayrhofer, „Der Schiffer“; 343: Blondel zu
Marien); später wird diese Form, die Löwe
weder erfunden noch gepachtet hat, bei Schubert
weit häufiger.

Wichtig für Schuberts Entwicklung auf dem
Gebiete der einstimmigen Gesangsmusik ist, daß
er im Jahr 1817 weit tätiger in der zweihän-
digen Klaviermusik war als in irgend einem
seit 1812. Er schrieb 1817 allein nicht weniger
als sieben Klaviersonaten, freilich sind nicht
alle fertig; die vollendeten davon sind längst
gedruckt: die in H vom August, in E vom
September (vgl. S. 274 II unten), in a (op. 164)

ohne Monatsangabe. Die in Des vom Juli
wurde gedruckt in Serie 21, 9, früher nur in
der etwas späteren, ein wenig verbackfischten
Bearbeitung in Es bekannt. Die unvollendeten
sind erst seit dem Druck in der Gesamtausgabe
zugänglich; es sind: eine in As vom Mai
(Serie 10, 3), drei Sätze; eine in e vom Juni: von
ihr enthält Serie 10, 4 nur den ersten Satz, doch
haben sich seitdem ein Allegretto in E und ein
Scherzo in As gefunden (Besitzer des Auto-
graphs: Erich Prieger in Bonn); eine in fis vom
Juli (Serie 21, 10 u. 20), drei Sätze. — Einzelne
zweihändige Klavierstücke von 1817 sind: Acht
Ecossaisen vom Februar (Serie 12, 11 und 21, 30);
Zwölf Deutsche (12, 11); Variationen in a über ein
Thema von A. Hüttenbrenner vom August; zwei
Scherzos in B und Des vom November, beide
wahrscheinlich zur Des-Sonate gehörig; Alle-
gretto in E „op. 145“ (der erste Herausgeber
hat einen Teil eines echten, doch nicht zu-
gehörigen Adagios [in Des] als Einleitung hinzu-
gepfuscht); vielleicht ist es das Finale der
e-Sonate. ■— Diese Übersicht zeigt den auffal-
lenden Umfang von Schuberts zweihändigen
Klavierwerken dieses Jahres. Sie sind großen-
teils schon sehr bedeutend, vom Range seiner
besten gleichzeitigen Lieder und Gesänge,
namentlich die Sonaten in Des, fis, H, a, die
Variationen in a und das Scherzo Des; aber
auch in allen andern Sonaten findet sich eine
Anzahl erstklassiger Sätze. Für Schuberts zwei-
händige Klaviermusik gilt m. E. überhaupt nicht,
was Grove von seiner gesamten Spielmusik be-
hauptet (S. 362): daß sie erst von 1822—24 an
auf seiner vollen Höhe stehe (für die Kammer-
und Orchestermusik ist das richtig). — In seiner
Schubertschrift von 1901 hat Heuberger gut
dargelegt (S. 35—39), daß der Meister mit den
Klavierwerken von 1817 auf diesem Felde einen
tüchtigen Ruck in die Höhe machte, namentlich
im klangvollen Klaviersatz. 1 Er verwertete die
Errungenschaften der besten älteren Klavier-
meister (Clementi, Dussek, Beethoven, Cramer,
Tomaschek, Hummel, Field, Weber, Moscheles)
und baute sie eigenartig aus. Diesem Fortschritt
haben wir jedenfalls die gegen früher gestei-
gerte Klangfülle und den klaviergemäßen Satz
der Gesänge mit reicher Begleitung von 1817
und den folgenden Jahren zu verdanken. Wie
in Art. I dargelegt, schloß Schubert sich im
Klangreichtum des Klavierparts seiner Gesänge
hauptsächlich denen Beethovens und Webers an,
die bis 1817 schon größtenteils gedruckt waren.

Ferner ist sehr wichtig zur Erklärung des
Aufschwunges, den Schubert seit Ende 1816 und
Anfang 1817 nahm, daß es die Zeit war, wo

1 Heuberger lässt diesen Fortschritt 1817 „plötzlich“
eintreten; aber die F- Variationen vom 15. Februar 1815 sind
schon recht klangvoll. Kürzlich wurde bekannt, dass auch
die derartige erste Hälfte der „letzten“ Walzer op. 127 (er-
schien 1830) von 1815 ist (nach Autograph).

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