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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 10.1905

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Baumann, Rudolf G.: Des Klausners Gebet
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https://doi.org/10.11588/diglit.26235#0058

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DES KLAUSNERS GEBET.

Wenn’s glückt! Es kann ja ganz gut glücken.
Überall reden die Bauern schon von dem Heil-
trank. Er hat auch einmal ein Tröpflein davon
erwischt und es mit dem Bruder Kellermeister
zusammen in fest verschlossener Klause be-
rochen. So schön hat es geduftet, und der alte
Kellermeister, der leider nur sauern Most hütete
und ein kleines Fäßchen Besuchswein, hatte voll
Entzücken die Augen verdreht, als er mit der
Zunge probierte. Das war was! — Drunten,
weit weg im welschen Land, hörte man sagen,
steht ein großes, reiches Kloster, das all sein
Gut und Land einem süßen Feuertrank zu ver-
danken hat, der nicht einmal besonders heil-
kräftig ist.

Wenn er den Emeranzius überreden könnte!
— — Und er steigt und steigt, bis die Sonne
am Untergehen ist. Es zwitschert und jubiliert
um ihn herum. Die Bienen und Wespen summen
so arbeitsfreudig, die zarten frischgeborenen
Blätter wispern so froh, die Welt ist so schön
und farbenprächtig, und er voll Zuversicht!

Wie die Nacht hereinbricht, erreicht er die
einsame Klause; heiter empfängt ihn der stramme
Hüter und richtet Hühner zum Gastmahl.

Daß er keine kleinen Kinder zum Frühstück
ißt und auch sonst niemandem etwas zuleide
tut, sieht der Abt bald, und daß er zu den Ein-
fältigen im Geist gehört, bleibt ihm nicht ver-
borgen, aber über den Krafttrunk schweigt er
in allen Sprachen. Sobald der Abt darauf zu
sprechen kommt, sagt der andere nur noch:
„Hm hm und ja ja und so so, und zeigt ein
furchtbar dummschlaues Gesicht. Und wie ihm
der Abt erzählt, was das Volk meint, macht er
dicke fromme Augen, schaut wichtig umher,
räuspert sich, sagt nicht ja und nicht nein, und
tut wie jemand, der mit einer besondern geheimnis-
vollen Macht begabt ist. Man kann rein nichts
aus ihm herausziehen, aber sonst ist er freund-
lich und ehrerbietig.

Müde, mit herabgestimmten Hoffnungen, legt
sich der Abt zum wohlverdienten Schlaf nieder,
um am Morgen mit frischem Mut zur erneuten
Besprechung bereit zu sein.

Wie die ersten Sonnenstrahlen sich durch
die tauschweren jugendgrünen Blätter stehlen,
und die Waldvögel ihr Frühlied schmettern,
plätschert Emeranzius munter im Silberquell,
und eilt dann, um der neugeschmückten Jung-
frau schnell sein kräftiges Gebet zu leisten.
Liebevoll hält er ein bauchig Gefäß voll Elixier
unter dem Arm, denn der Morgen ist kühl, und
es drängt ihn, bald wieder zu dem frommen
Gast zu kommen.

Nachher tritt auch der Alte aus der rohen
Hütte, schaut sich froh um, benutzt den Quell
und ergeht sich lächelnd im Umkreis. Sorglich
sind da allerhand Knollen und Wurzeln gepflanzt,
dazwischen sprossen seltene Kräuter und junges,
zartes Gemüse. Alle Blumen des Waldes reihen

sich in sauberen Beetchen, blühende Beeren-
sträucher bilden eine duftige Hecke. Lange
wandelt er umher, bis an den Rand des Waldes,
dessen dicke Riesen die alten narbigen Stämme
im Frühlingskleid verhüllen und die rauhen
runzligen Äste verstecken und leise im Morgen-
wind mit den durchsichtigen leuchtenden Blät-
tern von neuer Sehnsucht und Minne singen.

Wie er wieder gegen den Fels kommt, stört
eine tiefe Stimme sein Sinnen. Erstaunt tritt
er näher, ihm ist, als höre er alte vergessene
Klänge aus seiner Jugend, der Zeit, da er, ein
lockerer Schüler, die Rechte studierte.

Neugierig folgt er den Tönen und guckt durch
das kleine grünumsponnene Fenster in die
winzige Kapelle.

Da fährt er zurück, reibt sich die Augen und
schaut wieder. Was er sieht, ist so sonderbar.
— Ganz starr lauscht er eine Zeitlang.

In einer rohen Felsnische steht ein merk-
würdiges Bild. Aus braungrauer Rinde geschnitten
sieht er ein grobes Gesicht. Ganz unverhältnis-
mäßig lang und breit dehnt sich darunter eine
Art Gewand, über und über mit blauen Veilchen
bedeckt, so daß nichts von dem Untergrund
hervorsieht. In der Mitte ist aus allerhand
bunten, roten und gelben Blümchen ein dicker
Gürtel zusammengesetzt.

Darunter auf einem glatten schwärzlichen
Stein wälzt sich und stöhnt der fleischige Eme-
ranzius. Das rauhe Gewand ist halb zu Boden
gesunken, er ringt die haarigen Hände, daß die
Finger knacken, beugt und reckt den muskel-
starken Körper auf und ab; halb fröhlich, halb
ärgerlich glänzt das fleischige Gesicht, dicke
Schweißtropfen perlen auf der rötlichen Knollen-
nase, und im tiefen Baß rollen allerhand latei-
nisch klingende Worte über die Lippen. Ein
unendlich komischer Haufen weinselig-weh-
mütiger Zerknirschung windet sich vor dem
sonnenübersponnenen Bild. Jetzt steigert sich
die Macht seiner Stimme, und er stößt mit
fürchterlichem Ton und verzückt verdrehten
Augen die Worte hervor:

„Ergo bibamus!“

Dann stöhnt er tief auf, nimmt einen noch
tieferen Schluck aus dem bauchigen Kruge und
fängt mit feuchten Lippen wieder an. Freund-
lich lächeln seine Züge, der Baß grollt, es mehrt
sich der Schweiß und bildet ein Bächlein auf
dem Rücken, er wankt und schwankt auf dem
glatten Stein, und wieder tönt’s:

„Ergo bibamus!“

* *

*

Da reißt der Abt die Balkentür auf und ruft
zürnend: „Verruchter, was tust du da, du Höllen-
zierde! — apage satanas!“

Emeranzius sitzt matt auf einem Stein, in
Schweiß gebadet, und sagt, so sanft er kann: „Ich
bete mein tägliches Gebet, jetzt bin ich fertig.“

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