VOM MÜNCHENER GLASPALAST.
bundes, im Münchener Glaspalast aber haben
viel mehr Mitglieder des Bundes eine viel
reichere und mannigfaltigere Ausstellung ge-
macht, und vom Bund als solchem ist hier nicht
die Rede. Wir waren wieder einmal naiv. Der
Sezession hat es beliebt, zum Zweck einer
Demonstration sich nebenbei mit einem neuen
Namen zu schmücken und — wir sind darauf
hineingefallen. Doch wissen wir, und die Ge-
rechtigkeit verlangt, es auszusprechen, daß auch
viele Künstler, darunter berühmte Mitglieder
der Sezession, ebenso —- naiv waren wie wir.
* *
*
Die diesjährige deutsche Ausstellung im Glas-
palast nur von den Deutschen soll hier die
Rede sein — zeigt noch deutlicher als im
vorigen Jahr eine überraschende oder eigentlich
längst nicht mehr überraschende Tatsache: die
Überwindung des Impressionismus.
Über diesen Impressionismus erlauben Sie
mir ein Wort.
Meier-Gräfe, der ihn als die moderne Kunst
Kat’ exochen verkündet, ist sich dennoch, wie
mir scheint, über seinen Ursprung und sein
Wesen niemals klar geworden. Sie aber werden
sich erinnern, wenn es auch bereits lange her
ist, daß der erste weltberühmte Propagator des
Impressionismus mit Namen Emile Zola hieß.
Davon will Meier-Gräfe nichts wissen. Und
die ganze Welt mag es vergessen haben. Es
ist aber doch so. Der Naturalismus in der
Literatur und der Impressionismus in der Malerei
waren Zwillingsgeschwister. Sie entsprangen
demselben Irrtum, der zu ihrer Zeit die Geister
beherrschte und der wieder zusammenhing mit
der faszinierenden Wirkung, die in dieser Zeit
von den Naturwissenschaften ausging. Es war
der Irrtum — einer der ungeheuerlichsten der
Weltgeschichte —, daß die Kunst wie die Wissen-
schaft, nur mit anderer Methode, die Natur zu
erobern habe. Zola war der große Apostel des
neuen Evangeliums. Er verfocht seine Theorie
gleichmäßig auf dem Gebiet der Literatur wie
auf dem der Malerei. Da er kein unbedeutender
Poet und Künstler war, so verleitete ihn seine
Theorie in seinen eigenen Werken zwar zu un-
geheuren Fehlern, verhinderte aber nicht, daß
er ihr zum Trotz Werke schuf, die zwar keine
reinen Kunstwerke, aber doch Kunstwerke waren,
Kunstwerke sogar von imposanter Wirkung.
Nur so konnte es kommen, daß seine geradezu
blöde Theorie so viel Macht über die Geister
gewann und zwar nicht nur in der Literatur,
sondern auch in der Malerei.
In der Malerei aber wurde der Naturalismus
notwendig zum Impressionismus. Die Maler,
indem sie der Theorie gemäß die Natur erobern
wollten, wie sie wirklich war, der Natur sozu-
sagen nackt auf den Leib rücken wollten, konnten
nicht übersehen, daß die Natur, um die es sich
für die Malerei handelte, nicht einen Augenblick
sich selber glich, und daß alle Darstellungen
von der Natur nur Abstraktionen und Kon-
ventionen seien, wenn der Künstler sich nicht
mit aller Ehrlichkeit auf die Darstellung augen-
blicklicher Impressionen beschränkte. So wurde
der Impressionismus entdeckt. Und es läßt sich
denken, daß man sich auf die neue Entdeckung
nicht wenig zugute tat.
Aber auch die Maler waren Künstler. In
der Theorie huldigten sie dem Naturalismus, in
ihrem Schaffen verleugneten sie ihn. Unbewußt
natürlich. Heute sehen wir klar, daß es für
Manet nur koloristische, allgemeiner gesprochen
nur formalistische Probleme gab, und daß Monet
in seinen großen Bildern eher Visionen als
Impressionen malte.
Nicht die Natur hat der Künstler zu erobern,
sondern die Kunst. Ob diese in der Natur steckt,
wie der große Meister Albertus meinte, ist doch
vielleicht die Frage. Ich glaube, sie steckt im
Künstler.
* *
*
Sogar in der sezessionistischen Abteilung
des Glaspalastes ist unter den Künstlern von
Namen nur noch Liebermann von rein
impressionistfschem Vortrag mit, man kann
wohl sagen, streng französischer Observanz.
Mit Liebermann ist mir nun folgendes passiert:
Es hängt da ein Bild „Nackte badende Knaben
am Strand“. Ich nahm es, ohne erst nach dem
Namen zu sehen, für einen Liebermann. Das
würde ich vielleicht nicht so ohne weiteres
erzählen, ich würde am Ende gar fürchten, mich
zu blamieren; aber ein großer moderner Künstler
hat mir den gleichen Irrtum eingestanden. Das
Bild ist nämlich nicht von Liebermann. Ist
das nicht interessant? Impressionistische Allüren
hat ja auch Wilhelm Trübner; aber ich möchte
den sehen, der etwas fertig brächte, das man
mit einem richtigen Trübner, etwa den beiden
Landschaften im Glaspalast, auch nur von weitem
verwechseln könnte. Damit will ich nicht
Liebermann herunter-, sondern nur Trübner
hinaufsetzen.
Alles, was sonst in der Sezession unsere Be-
achtung herausfordert, bedeutet ein energisches
Abwenden von der impressionistischen Kunst-
anschauung. Da ist das zart empfundene
Märchenbild „Frühling“ von Landenberger, es
klingt fast an Thoma an. Da sind die über-
raschenden Landschaften von Richard Kaiser
undTony Stadler, denen man eher eine schottisch-
englische Beeinflussung nachreden könnte, wenn
sie nicht so viel weniger konventionell, wenn
sie nicht so viel stärker selbst gedacht und
selbst empfunden wären. Besonders der eine
ganz kleine Stadler ist ein Juwel. Das ist ge-
malt und trägt in sich den ganzen lebendigen
Zauber der Natur; aber wenn auch nichts da
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bundes, im Münchener Glaspalast aber haben
viel mehr Mitglieder des Bundes eine viel
reichere und mannigfaltigere Ausstellung ge-
macht, und vom Bund als solchem ist hier nicht
die Rede. Wir waren wieder einmal naiv. Der
Sezession hat es beliebt, zum Zweck einer
Demonstration sich nebenbei mit einem neuen
Namen zu schmücken und — wir sind darauf
hineingefallen. Doch wissen wir, und die Ge-
rechtigkeit verlangt, es auszusprechen, daß auch
viele Künstler, darunter berühmte Mitglieder
der Sezession, ebenso —- naiv waren wie wir.
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Die diesjährige deutsche Ausstellung im Glas-
palast nur von den Deutschen soll hier die
Rede sein — zeigt noch deutlicher als im
vorigen Jahr eine überraschende oder eigentlich
längst nicht mehr überraschende Tatsache: die
Überwindung des Impressionismus.
Über diesen Impressionismus erlauben Sie
mir ein Wort.
Meier-Gräfe, der ihn als die moderne Kunst
Kat’ exochen verkündet, ist sich dennoch, wie
mir scheint, über seinen Ursprung und sein
Wesen niemals klar geworden. Sie aber werden
sich erinnern, wenn es auch bereits lange her
ist, daß der erste weltberühmte Propagator des
Impressionismus mit Namen Emile Zola hieß.
Davon will Meier-Gräfe nichts wissen. Und
die ganze Welt mag es vergessen haben. Es
ist aber doch so. Der Naturalismus in der
Literatur und der Impressionismus in der Malerei
waren Zwillingsgeschwister. Sie entsprangen
demselben Irrtum, der zu ihrer Zeit die Geister
beherrschte und der wieder zusammenhing mit
der faszinierenden Wirkung, die in dieser Zeit
von den Naturwissenschaften ausging. Es war
der Irrtum — einer der ungeheuerlichsten der
Weltgeschichte —, daß die Kunst wie die Wissen-
schaft, nur mit anderer Methode, die Natur zu
erobern habe. Zola war der große Apostel des
neuen Evangeliums. Er verfocht seine Theorie
gleichmäßig auf dem Gebiet der Literatur wie
auf dem der Malerei. Da er kein unbedeutender
Poet und Künstler war, so verleitete ihn seine
Theorie in seinen eigenen Werken zwar zu un-
geheuren Fehlern, verhinderte aber nicht, daß
er ihr zum Trotz Werke schuf, die zwar keine
reinen Kunstwerke, aber doch Kunstwerke waren,
Kunstwerke sogar von imposanter Wirkung.
Nur so konnte es kommen, daß seine geradezu
blöde Theorie so viel Macht über die Geister
gewann und zwar nicht nur in der Literatur,
sondern auch in der Malerei.
In der Malerei aber wurde der Naturalismus
notwendig zum Impressionismus. Die Maler,
indem sie der Theorie gemäß die Natur erobern
wollten, wie sie wirklich war, der Natur sozu-
sagen nackt auf den Leib rücken wollten, konnten
nicht übersehen, daß die Natur, um die es sich
für die Malerei handelte, nicht einen Augenblick
sich selber glich, und daß alle Darstellungen
von der Natur nur Abstraktionen und Kon-
ventionen seien, wenn der Künstler sich nicht
mit aller Ehrlichkeit auf die Darstellung augen-
blicklicher Impressionen beschränkte. So wurde
der Impressionismus entdeckt. Und es läßt sich
denken, daß man sich auf die neue Entdeckung
nicht wenig zugute tat.
Aber auch die Maler waren Künstler. In
der Theorie huldigten sie dem Naturalismus, in
ihrem Schaffen verleugneten sie ihn. Unbewußt
natürlich. Heute sehen wir klar, daß es für
Manet nur koloristische, allgemeiner gesprochen
nur formalistische Probleme gab, und daß Monet
in seinen großen Bildern eher Visionen als
Impressionen malte.
Nicht die Natur hat der Künstler zu erobern,
sondern die Kunst. Ob diese in der Natur steckt,
wie der große Meister Albertus meinte, ist doch
vielleicht die Frage. Ich glaube, sie steckt im
Künstler.
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Sogar in der sezessionistischen Abteilung
des Glaspalastes ist unter den Künstlern von
Namen nur noch Liebermann von rein
impressionistfschem Vortrag mit, man kann
wohl sagen, streng französischer Observanz.
Mit Liebermann ist mir nun folgendes passiert:
Es hängt da ein Bild „Nackte badende Knaben
am Strand“. Ich nahm es, ohne erst nach dem
Namen zu sehen, für einen Liebermann. Das
würde ich vielleicht nicht so ohne weiteres
erzählen, ich würde am Ende gar fürchten, mich
zu blamieren; aber ein großer moderner Künstler
hat mir den gleichen Irrtum eingestanden. Das
Bild ist nämlich nicht von Liebermann. Ist
das nicht interessant? Impressionistische Allüren
hat ja auch Wilhelm Trübner; aber ich möchte
den sehen, der etwas fertig brächte, das man
mit einem richtigen Trübner, etwa den beiden
Landschaften im Glaspalast, auch nur von weitem
verwechseln könnte. Damit will ich nicht
Liebermann herunter-, sondern nur Trübner
hinaufsetzen.
Alles, was sonst in der Sezession unsere Be-
achtung herausfordert, bedeutet ein energisches
Abwenden von der impressionistischen Kunst-
anschauung. Da ist das zart empfundene
Märchenbild „Frühling“ von Landenberger, es
klingt fast an Thoma an. Da sind die über-
raschenden Landschaften von Richard Kaiser
undTony Stadler, denen man eher eine schottisch-
englische Beeinflussung nachreden könnte, wenn
sie nicht so viel weniger konventionell, wenn
sie nicht so viel stärker selbst gedacht und
selbst empfunden wären. Besonders der eine
ganz kleine Stadler ist ein Juwel. Das ist ge-
malt und trägt in sich den ganzen lebendigen
Zauber der Natur; aber wenn auch nichts da
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