DIE ENTDECKUNG DES HEIDELBERGER SCHLOSSES.
„Halt, mein Freund!“ rief eine bittende
Stimme. Sie hatte einen fremdländischen Klang,
und der hochgewachsene Mann, der in das Ge-
mach eintrat, sah aus wie eine Gestalt aus ver-
gangener Zeit. Er hatte etwas Gebietendes und
zugleich Bescheidenes in seinem Wesen und
trug sich, wie sich die Kavaliere getragen hatten,
deren Zeit damals vorüber war. Er mochte in
den Fünfzigern sein, hatte aber einen leichten
Gang und die aufrechte Haltung des Soldaten.
Bittend trat er auf den Mann zu, legte ihm
die Hand auf die Schulter und sagte:
„Euer Eisen ist ja schon da, so steckt es ein
und geht eures Wegs. Was verderbt ihr die
unschuldigen Zieraten?“
„Weil es mir Spaß macht,“ lachte der Geselle,
und schlug ein steinernes Fensterkreuz in Trüm-
mer. „Und weil es niemanden etwas angeht,
was ich hier treibe, und weil es den her-
gelaufenen Franzosen ärgert, darum schlag ich
zusammen, was ich mag.“
Er holte aus, um den zarten Schmuck, der
sich um das Fenster schmiegte, völlig zu zer-
stören.
Da faßte ihn der Kavalier am Kragen und
zog ihn vom Fenster weg.
Der Geselle riß sich wütend los und holte
mit seiner Eisenstange zu einem Schlag aus.
In diesem Augenblick fuhr ihm etwas wie
ein Faustschlag mitten auf die Nase, daß das
Blut herausspritzte. Es war der Apfel, den der
Knabe von seinem hohen Sitz herab in wohl-
gezieltem Wurfe dem Burschen mitten ins Ge-
sicht geschleudert hatte. Zugleich üng der Kleine
an zu schreien mit gellendem Ton, der wie
Trompetenklang die Luft durchschnitt: „Vater!
Mutter! Vater! Mutter!“
Die Wirkung war wunderbar. Der Getroffene
wischte sich mit der Hand das Blut aus dem
Gesicht und sah schreckensbleich in die Höhe.
Siehe! Einer von den Knaben dort oben war
lebendig geworden; er ballte beide Fäuste wider
den frechen Zerstörer und rief in gellendem
Geschrei unausgesetzt: „Vater! Mutter! Vater!
Mutter!“
Der Mann taumelte zurück, warf das Eisen
aus der Hand, flüchtete aus dem Saal, und bald
hörte man, wie er heulend den Abhang der
Schlucht hinuntersprang. —
Als der Kleine in seinem Geschrei eine
Pause machte, sagte zu ihm der wunderliche
Fremde:
„Du hast mir das Leben gerettet; aber du
hast, was mehr wert ist, vielleicht auch das
Schloß gerettet. Was bei diesem Volke Gefühl
und Einsicht nicht vermögen, das vermag viel-
leicht die Furcht des Aberglaubens. Aber nun
steige herunter, du Äpfeldieb — du bist hinter
meine Äpfel geraten — und wenn du unten
bist, dann erzähle, wie du hinaufgekommen.
Tritt sachte auf, daß du nichts beschädigst; so!
Und nun sage, pflegst du im bloßen Hemdlein
die Äpfel zu stehlen? Geht es so besser?“
„Nein, aber die Mutter ist betrübt, wenn
meine Kleider gar zu schmutzig sind.“
„Wie heißest du?“
„Lothar! Und mein Vater und meine Mutter
sind auch da.“
„Hier ist die Mutter,“ sagte eine sanfte, süße
Stimme. Der Kavalier verneigte sich tief. Die
schöne Frau schloß den Knaben, der sich gerade
die Hosen gürtete, an ihr Herz.
Dann stand sie auf, neigte sich anmutsvoll
und sagte: „Ich grüße den Herrn und Gebieter
dieses Märchenschlosses.“
„Ach, nicht sein Herr bin ich, sondern des
Schlosses unwürdiger Diener, der seine Herrlich-
keiten hütet, damit sie von einem stumpfsinnigen
Volk nicht zerschlagen werden. Und Gebieter?
Zu gebieten habe ich hier gar nichts, sondern
demütig zu bitten, daß man mir erlauben möge,
das schönste Kleinod Deutschlands vor der
Zerstörungssucht der Deutschen zu schützen.
So suche ich gut zu machen, was meine Vor-
fahren hier gesündigt haben. Vielleicht kommt
einmal die Zeit, wo ihr Volk erkennen wird,
welch einen Schatz es in diesen Trümmern
besitzt.“
„Gewiß, sie wird kommen,“ rief der Vater,
der unbemerkt eingetreten war und dem Ge-
spräch gelauscht hatte; „und dann wird man sich
dankbar des treuen Fremdlings erinnern, der
unsern Schatz gehütet hat.“
„O, nun sind wir alle da!“ rief die Mutter
voller Freuden. „Wo bliebst du so lange? Wie
kommst du hierher?“
„Ich habe manches gezeichnet; hierher bin
ich gelangt auf wunderlichen Wegen, aus dem
geborstenen Turm durch mancherlei Gemächer
und Gänge. Als ich in den Schloßhof trat,
hörte ich des Knaben Hilferuf. Aber nun er-
zählt, was ist denn geschehen?“
, Ja, da gibts zu erzählen,“ sagte der Kavalier.
„Aber nicht an dieser Stätte.“ Er hob die Eisen-
stange vom Boden und wies auf den Ausgang.
Sie waren aus dem Saal und aus dem Palast
geschritten und gingen gerade die Treppe hin-
unter in den Schloßhof.
„Ich bitte Sie, mit mir zu kommen. Dort
hinter der Sonnenuhr hause ich mit meinem
Diener. Von dort beobachte ich die Eintretenden
und spähe in ihren Mienen, was sie im Sinne
haben. Die feigen Räuber brechen deswegen
jetzt von hinten herein.
Vor sieben Jahren kam ich hierher, ein
heimatloser Flüchtling, gescheucht von der
Raserei seines Vaterlandes. Ziellos wandernd
fand ich das Schloß.“
„Wie wir,“ rief die schöne Frau.
„Ich wußte nichts von ihm, als daß mein
Ahnherr dabei war, als die Unerbittlichkeit des
Krieges seine Zerstörung verlangte. Als ich im
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„Halt, mein Freund!“ rief eine bittende
Stimme. Sie hatte einen fremdländischen Klang,
und der hochgewachsene Mann, der in das Ge-
mach eintrat, sah aus wie eine Gestalt aus ver-
gangener Zeit. Er hatte etwas Gebietendes und
zugleich Bescheidenes in seinem Wesen und
trug sich, wie sich die Kavaliere getragen hatten,
deren Zeit damals vorüber war. Er mochte in
den Fünfzigern sein, hatte aber einen leichten
Gang und die aufrechte Haltung des Soldaten.
Bittend trat er auf den Mann zu, legte ihm
die Hand auf die Schulter und sagte:
„Euer Eisen ist ja schon da, so steckt es ein
und geht eures Wegs. Was verderbt ihr die
unschuldigen Zieraten?“
„Weil es mir Spaß macht,“ lachte der Geselle,
und schlug ein steinernes Fensterkreuz in Trüm-
mer. „Und weil es niemanden etwas angeht,
was ich hier treibe, und weil es den her-
gelaufenen Franzosen ärgert, darum schlag ich
zusammen, was ich mag.“
Er holte aus, um den zarten Schmuck, der
sich um das Fenster schmiegte, völlig zu zer-
stören.
Da faßte ihn der Kavalier am Kragen und
zog ihn vom Fenster weg.
Der Geselle riß sich wütend los und holte
mit seiner Eisenstange zu einem Schlag aus.
In diesem Augenblick fuhr ihm etwas wie
ein Faustschlag mitten auf die Nase, daß das
Blut herausspritzte. Es war der Apfel, den der
Knabe von seinem hohen Sitz herab in wohl-
gezieltem Wurfe dem Burschen mitten ins Ge-
sicht geschleudert hatte. Zugleich üng der Kleine
an zu schreien mit gellendem Ton, der wie
Trompetenklang die Luft durchschnitt: „Vater!
Mutter! Vater! Mutter!“
Die Wirkung war wunderbar. Der Getroffene
wischte sich mit der Hand das Blut aus dem
Gesicht und sah schreckensbleich in die Höhe.
Siehe! Einer von den Knaben dort oben war
lebendig geworden; er ballte beide Fäuste wider
den frechen Zerstörer und rief in gellendem
Geschrei unausgesetzt: „Vater! Mutter! Vater!
Mutter!“
Der Mann taumelte zurück, warf das Eisen
aus der Hand, flüchtete aus dem Saal, und bald
hörte man, wie er heulend den Abhang der
Schlucht hinuntersprang. —
Als der Kleine in seinem Geschrei eine
Pause machte, sagte zu ihm der wunderliche
Fremde:
„Du hast mir das Leben gerettet; aber du
hast, was mehr wert ist, vielleicht auch das
Schloß gerettet. Was bei diesem Volke Gefühl
und Einsicht nicht vermögen, das vermag viel-
leicht die Furcht des Aberglaubens. Aber nun
steige herunter, du Äpfeldieb — du bist hinter
meine Äpfel geraten — und wenn du unten
bist, dann erzähle, wie du hinaufgekommen.
Tritt sachte auf, daß du nichts beschädigst; so!
Und nun sage, pflegst du im bloßen Hemdlein
die Äpfel zu stehlen? Geht es so besser?“
„Nein, aber die Mutter ist betrübt, wenn
meine Kleider gar zu schmutzig sind.“
„Wie heißest du?“
„Lothar! Und mein Vater und meine Mutter
sind auch da.“
„Hier ist die Mutter,“ sagte eine sanfte, süße
Stimme. Der Kavalier verneigte sich tief. Die
schöne Frau schloß den Knaben, der sich gerade
die Hosen gürtete, an ihr Herz.
Dann stand sie auf, neigte sich anmutsvoll
und sagte: „Ich grüße den Herrn und Gebieter
dieses Märchenschlosses.“
„Ach, nicht sein Herr bin ich, sondern des
Schlosses unwürdiger Diener, der seine Herrlich-
keiten hütet, damit sie von einem stumpfsinnigen
Volk nicht zerschlagen werden. Und Gebieter?
Zu gebieten habe ich hier gar nichts, sondern
demütig zu bitten, daß man mir erlauben möge,
das schönste Kleinod Deutschlands vor der
Zerstörungssucht der Deutschen zu schützen.
So suche ich gut zu machen, was meine Vor-
fahren hier gesündigt haben. Vielleicht kommt
einmal die Zeit, wo ihr Volk erkennen wird,
welch einen Schatz es in diesen Trümmern
besitzt.“
„Gewiß, sie wird kommen,“ rief der Vater,
der unbemerkt eingetreten war und dem Ge-
spräch gelauscht hatte; „und dann wird man sich
dankbar des treuen Fremdlings erinnern, der
unsern Schatz gehütet hat.“
„O, nun sind wir alle da!“ rief die Mutter
voller Freuden. „Wo bliebst du so lange? Wie
kommst du hierher?“
„Ich habe manches gezeichnet; hierher bin
ich gelangt auf wunderlichen Wegen, aus dem
geborstenen Turm durch mancherlei Gemächer
und Gänge. Als ich in den Schloßhof trat,
hörte ich des Knaben Hilferuf. Aber nun er-
zählt, was ist denn geschehen?“
, Ja, da gibts zu erzählen,“ sagte der Kavalier.
„Aber nicht an dieser Stätte.“ Er hob die Eisen-
stange vom Boden und wies auf den Ausgang.
Sie waren aus dem Saal und aus dem Palast
geschritten und gingen gerade die Treppe hin-
unter in den Schloßhof.
„Ich bitte Sie, mit mir zu kommen. Dort
hinter der Sonnenuhr hause ich mit meinem
Diener. Von dort beobachte ich die Eintretenden
und spähe in ihren Mienen, was sie im Sinne
haben. Die feigen Räuber brechen deswegen
jetzt von hinten herein.
Vor sieben Jahren kam ich hierher, ein
heimatloser Flüchtling, gescheucht von der
Raserei seines Vaterlandes. Ziellos wandernd
fand ich das Schloß.“
„Wie wir,“ rief die schöne Frau.
„Ich wußte nichts von ihm, als daß mein
Ahnherr dabei war, als die Unerbittlichkeit des
Krieges seine Zerstörung verlangte. Als ich im
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