ZUM FALL BÖCKLIN.
dergleichen mehr. Ich denke, wir hätten nun
bald genug an dieser in Wahrheit impressio-
nistischen Asthetik und Kunstgeschichte, die
schon bei Muther wunderliche Blüten getrieben
hat; und satt haben wir Süddeutschen nament-
lich die feuilletonistische Berliner Manier in der
Behandlung ernster Gegenstände! In der Tat,
wer nicht ein begründetes System philo-
sophischer Begriffe, eine Übersicht über die Ge-
samtheit des künstlerischen Schaffens, die großen
Zusammenhänge in den höchsten geistigen Be-
strebungen der Menschheit hat, sollte nicht als
Richter eines ganzen Volkes auftreten; und wer
nicht Persönlichkeit genug ist, um die Persön-
lichkeit in Böcklin zu spüren, die über alle
Theorien Herr wird, der sollte überhaupt die
Hand von künstlerischer Kritik lassen. Böcklin
hat manches Schlechte gemalt, aber er hat
auch den Geist in der Natur empfunden, die
unendliche Poesie des Naturlebens, das was
uns in ihr wie ein ewiger Verjüngungstrank
geboten wird, wie keiner vor ihm; er hat es mit
malerischen Mitteln ausgedrückt, so wie es
durch keine andere Kunst geleistet werden kann;
darin liegt seine künstlerische Legitimation, und
das ist noch mehr, als die deliziöse Feinheit
von Farbenflecken nachfühlen, die niemals eine
Beziehung zum Höchsten haben können, weil
sie nur die Seele, aber nicht den Geist anregen.
So wenig der Deutsche jemals an Feinheit
des kulinarischen Geschmacks mit dem Fran-
zosen wird wetteifern können, so wenig wird
er dazu in der Farbenempfindung imstande sein.
Dazu ist der Deutsche viel zu innerlich, zu männ-
lich. Es gehört dazu eine Art nervöser Sinn-
lichkeit, die nicht unsere Art ist. Dagegen
ist die Gemütsinnigkeit, die Gedankenschwere
etwas, worin wir uns von je ausgezeichnet
haben und worin wir nicht übertroffen werden
können. Die alte Regel Friedrich Schlegels über
die Art des deutschen Künstlers trifft noch an
die Wahrheit. Viel Geist und gerade so viel
Sinnlichkeit als die Kunst erfordert, das ist die
für uns natürliche Art. Eine einseitige Art
sicherlich, in gewissem Sinn die angeborene
Schwäche des Volks, das einst über dem Ernst
seiner religiösen Erneuerung seine politische
Existenz darangegeben hat; aber jedenfalls ist
es auch seine Stärke und sein innerstes Wesen.
Vielleicht hat das Liebermann nie gewußt oder
nie verstanden; in seiner Umgebung scheint
man es jedenfalls vergessen zu haben. Denn
daß die eigentliche gedankliche Tiefe, ja selbst
das was wir Gemüt nennen, mit der rein
musikalischen Farbenkunst, wie sie Meier-Gräfe
als die Kunst der Zukunft ansieht, sich nicht
vereinigt, erkennt er selbst. Er mißachtet z. B.
alles Physiognomische, soweit es nicht un-
mittelbar Ausdruck der Stimmung ist; er hält
die schöne innere Bewegtheit der Köpfe in
Rembrandts Anatomie eher für störend; er bildet
sich ein, daß das nur eine Sache des Verstandes
sei, daß kein künstlerisches Vermögen dazu ge-
höre, den Ausdruck der inneren Bewegungen
im Gesichte, in der Haltung nachzufühlen und
ohne Künstelei und Pose wiederzugeben —
bloß weil allerdings Aufmerksamkeit und der-
artige geistige Regungen sich nicht in Farbe
ausdrücken lassen. Aber auch Handlungen
lassen sich nicht in Farbe ausdrücken, und doch,
wer möchte Raffaels Teppiche entbehren, selbst
um den Preis von zehntausend impressionisti-
Hermann Seidler, Konstanz.
Versuchung des hl. Antonius. Farbig glasierte Tonfliese.
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dergleichen mehr. Ich denke, wir hätten nun
bald genug an dieser in Wahrheit impressio-
nistischen Asthetik und Kunstgeschichte, die
schon bei Muther wunderliche Blüten getrieben
hat; und satt haben wir Süddeutschen nament-
lich die feuilletonistische Berliner Manier in der
Behandlung ernster Gegenstände! In der Tat,
wer nicht ein begründetes System philo-
sophischer Begriffe, eine Übersicht über die Ge-
samtheit des künstlerischen Schaffens, die großen
Zusammenhänge in den höchsten geistigen Be-
strebungen der Menschheit hat, sollte nicht als
Richter eines ganzen Volkes auftreten; und wer
nicht Persönlichkeit genug ist, um die Persön-
lichkeit in Böcklin zu spüren, die über alle
Theorien Herr wird, der sollte überhaupt die
Hand von künstlerischer Kritik lassen. Böcklin
hat manches Schlechte gemalt, aber er hat
auch den Geist in der Natur empfunden, die
unendliche Poesie des Naturlebens, das was
uns in ihr wie ein ewiger Verjüngungstrank
geboten wird, wie keiner vor ihm; er hat es mit
malerischen Mitteln ausgedrückt, so wie es
durch keine andere Kunst geleistet werden kann;
darin liegt seine künstlerische Legitimation, und
das ist noch mehr, als die deliziöse Feinheit
von Farbenflecken nachfühlen, die niemals eine
Beziehung zum Höchsten haben können, weil
sie nur die Seele, aber nicht den Geist anregen.
So wenig der Deutsche jemals an Feinheit
des kulinarischen Geschmacks mit dem Fran-
zosen wird wetteifern können, so wenig wird
er dazu in der Farbenempfindung imstande sein.
Dazu ist der Deutsche viel zu innerlich, zu männ-
lich. Es gehört dazu eine Art nervöser Sinn-
lichkeit, die nicht unsere Art ist. Dagegen
ist die Gemütsinnigkeit, die Gedankenschwere
etwas, worin wir uns von je ausgezeichnet
haben und worin wir nicht übertroffen werden
können. Die alte Regel Friedrich Schlegels über
die Art des deutschen Künstlers trifft noch an
die Wahrheit. Viel Geist und gerade so viel
Sinnlichkeit als die Kunst erfordert, das ist die
für uns natürliche Art. Eine einseitige Art
sicherlich, in gewissem Sinn die angeborene
Schwäche des Volks, das einst über dem Ernst
seiner religiösen Erneuerung seine politische
Existenz darangegeben hat; aber jedenfalls ist
es auch seine Stärke und sein innerstes Wesen.
Vielleicht hat das Liebermann nie gewußt oder
nie verstanden; in seiner Umgebung scheint
man es jedenfalls vergessen zu haben. Denn
daß die eigentliche gedankliche Tiefe, ja selbst
das was wir Gemüt nennen, mit der rein
musikalischen Farbenkunst, wie sie Meier-Gräfe
als die Kunst der Zukunft ansieht, sich nicht
vereinigt, erkennt er selbst. Er mißachtet z. B.
alles Physiognomische, soweit es nicht un-
mittelbar Ausdruck der Stimmung ist; er hält
die schöne innere Bewegtheit der Köpfe in
Rembrandts Anatomie eher für störend; er bildet
sich ein, daß das nur eine Sache des Verstandes
sei, daß kein künstlerisches Vermögen dazu ge-
höre, den Ausdruck der inneren Bewegungen
im Gesichte, in der Haltung nachzufühlen und
ohne Künstelei und Pose wiederzugeben —
bloß weil allerdings Aufmerksamkeit und der-
artige geistige Regungen sich nicht in Farbe
ausdrücken lassen. Aber auch Handlungen
lassen sich nicht in Farbe ausdrücken, und doch,
wer möchte Raffaels Teppiche entbehren, selbst
um den Preis von zehntausend impressionisti-
Hermann Seidler, Konstanz.
Versuchung des hl. Antonius. Farbig glasierte Tonfliese.
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