Es ist ein ergreifendes
Lied, das die Menschheit
von diesem Himmel ge-
sungen hat: ein Lied voll
Klage und Jubel, Trotz und
Verzagen, Bangigkeit und
Gewißheit, Geduld und
brennender Ungeduld; von
gelassenem Warten und
zehrender Sehnsucht; von
ohnmächtigemTitanentrotz,
der ihn stürmen, und stiller
Ergebenheit, die ihn mit
gefalteten Händen und er-
hobenem starkem Gemüt
herunterhoffen will; von
Prometheuskühnheit und
-gewalt, die das heilige
Himmelsfeuer auf Erden
entzündet, um die Erde
zum Himmel zu machen,
undmönchischemEntsagen,
das lebend stirbt, um der
künftigen Herrlichkeit nicht
unwürdig zu sein; von
faustischem Grübeln, das
über die Schranken des Möglichen, über die
Grenzen des Erlaubten hinaus die mächtigen
Gewalten sich dienstbar macht, und sanfter Er-
gebung, die alles, auch das Weh der Erde, als
Geschick einer höheren Macht, als Geschenk eines
Vaters ansieht und getrost der endlichen Lösung
harrt. Man sieht, wie reich auch hier die Ge-
fühlsskala ist, die der Künstler zur Auswahl hat.
Ein einzelnes Motiv aus dieser reichen Welt
des Gefühls hat Janßen herausgeholt: das ge-
duldige Warten auf das Gericht und die Offen-
barung der zukünftigen Welt, auf die Lösung
aller Rätsel und die Stillung aller Schmerzen,
vielleicht auch auf ein
Wiedersehen und Wieder-
haben nach jähem Verlust
und zugleich die Zuversicht,
die der Grund der Geduld
ist. Es ist natürlich schwie-
rig, in dem Antlitz des
Engels den herben Ernst
des Gerichts mit der Freu-
digkeit auf den Tag der
Vollendung zum Ausgleich
zu bringen, und möglicher-
weise hätte der Ausdruck
des Schmachtenden bei
schärfer geschlossenen Lip-
pen und weniger seitwärts
geneigtem Haupte gänzlich
vermieden werden können,
gleichwohl steht dieses
Bronzedenkmal weit über
der Wiederholung desselben
Gedankens in Marmor, auch
Karl Janssen. Grabmal W. Hiby (Cleve).
weit über dem die Auferstehung als das Aller-
neueste aus dem Himmel verkündigenden Engel
eines italienischen Bildhauers, die auf dem
Kölner Friedhofe einander fast gegenüberstehen.
Den stärksten Gegensatz dazu bildet wohl das
große Denkmal ,,aux Morts“ von A. Bartholome.
Wohl steht auf der Rückwand des Grabes das
Wort des Propheten: „Über denen, die da
wohnen im finstern Lande, scheinet es helle“
— aber das Licht, das über ihnen leuchtet, ist
nur das der Todesruhe nach dem Leiden des
Lebens. Die Überschrift müßte heißen: „Leben
ist Leiden“. Das Denkmal ist eine Hymne
A. Bartholome. Aux Morts (Pere-Lachaise).
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Lied, das die Menschheit
von diesem Himmel ge-
sungen hat: ein Lied voll
Klage und Jubel, Trotz und
Verzagen, Bangigkeit und
Gewißheit, Geduld und
brennender Ungeduld; von
gelassenem Warten und
zehrender Sehnsucht; von
ohnmächtigemTitanentrotz,
der ihn stürmen, und stiller
Ergebenheit, die ihn mit
gefalteten Händen und er-
hobenem starkem Gemüt
herunterhoffen will; von
Prometheuskühnheit und
-gewalt, die das heilige
Himmelsfeuer auf Erden
entzündet, um die Erde
zum Himmel zu machen,
undmönchischemEntsagen,
das lebend stirbt, um der
künftigen Herrlichkeit nicht
unwürdig zu sein; von
faustischem Grübeln, das
über die Schranken des Möglichen, über die
Grenzen des Erlaubten hinaus die mächtigen
Gewalten sich dienstbar macht, und sanfter Er-
gebung, die alles, auch das Weh der Erde, als
Geschick einer höheren Macht, als Geschenk eines
Vaters ansieht und getrost der endlichen Lösung
harrt. Man sieht, wie reich auch hier die Ge-
fühlsskala ist, die der Künstler zur Auswahl hat.
Ein einzelnes Motiv aus dieser reichen Welt
des Gefühls hat Janßen herausgeholt: das ge-
duldige Warten auf das Gericht und die Offen-
barung der zukünftigen Welt, auf die Lösung
aller Rätsel und die Stillung aller Schmerzen,
vielleicht auch auf ein
Wiedersehen und Wieder-
haben nach jähem Verlust
und zugleich die Zuversicht,
die der Grund der Geduld
ist. Es ist natürlich schwie-
rig, in dem Antlitz des
Engels den herben Ernst
des Gerichts mit der Freu-
digkeit auf den Tag der
Vollendung zum Ausgleich
zu bringen, und möglicher-
weise hätte der Ausdruck
des Schmachtenden bei
schärfer geschlossenen Lip-
pen und weniger seitwärts
geneigtem Haupte gänzlich
vermieden werden können,
gleichwohl steht dieses
Bronzedenkmal weit über
der Wiederholung desselben
Gedankens in Marmor, auch
Karl Janssen. Grabmal W. Hiby (Cleve).
weit über dem die Auferstehung als das Aller-
neueste aus dem Himmel verkündigenden Engel
eines italienischen Bildhauers, die auf dem
Kölner Friedhofe einander fast gegenüberstehen.
Den stärksten Gegensatz dazu bildet wohl das
große Denkmal ,,aux Morts“ von A. Bartholome.
Wohl steht auf der Rückwand des Grabes das
Wort des Propheten: „Über denen, die da
wohnen im finstern Lande, scheinet es helle“
— aber das Licht, das über ihnen leuchtet, ist
nur das der Todesruhe nach dem Leiden des
Lebens. Die Überschrift müßte heißen: „Leben
ist Leiden“. Das Denkmal ist eine Hymne
A. Bartholome. Aux Morts (Pere-Lachaise).
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