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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 10.1905

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Nr. 11
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Franck, G.: Moderne Grabmäler
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Kühl, Gustav: Unsere Musikbeilage
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https://doi.org/10.11588/diglit.26235#0225

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A. Bartholome. Aux Morts. Untere Gruppe.

der Körper im Tode gestreckt und die Glieder
gelöst sind.

Nun aber etwas Seltsames, etwas, für das
ich auch heute noch ebensowenig eine Er-
klärung weiß, als das erste Mal, da ich es sah:
Über den Schoß der beiden Eltern hingestreckt
liegt ein totes Kind, halb auf der Seite, mit
verhülltem Antlitz, die Händchen auf Hüfte und
Leib der Mutter gelegt. Das ist fast ebenso
seltsam wie die bekannte Darstellung von Klinger:
ein Kind auf der Brust der toten Mutter hockend.
Fast, sagte ich, denn hier bei Bartholome ist
das Gräßliche gemildert, das Kind ist tot, ein-
geschlafen auf dem Körper der beiden, denen
es sein Leben verdankt, und nicht elend, ver-
lassen zurückgeblieben in der kalten Welt. Den-
noch seltsam! Denn sein bewegtes Körperchen
steht in einem offenbar gewollten Kontrast zu
der Starre des Todes, in der die Eltern liegen.
Es ist scheinbar auf die Körper vor kurzem
hinaufgekrochen, das eine Knie ist noch ge-
krümmt, die Ärmchen haben den Körper nach-
ziehen wollen, und in dieser Haltung ist es
eingeschlafen, schlafend hinübergegangen in den
ewigen Schlaf.

Aber ist die Deutung des Ganzen richtig?
Ist das Finale dieses großen Gesanges vom
Elend des Lebens und vom Frieden des Todes
richtig verstanden, oder ist es nicht doch die
Hoffnung der Vie eternelle, die in dieser letzten
Gruppe angeschlagen wird, und ist der Todes-
genius nicht vielmehr ein Esprit de vie et de
lumiere, wie L. Benedite ihn genannt hat? Da
muß ich freilich sagen: wenn ein Künstler, der
so die Sprache der Seele beherrscht wie
Bartholome, das hätte als seine eigene Botschaft
der Welt verkünden wollen, er hätte es deut-
licher getan als in dem Genius, der mit liebe-
vollen Augen herabschaut auf die, die ausgelitten
haben, der die schwere Grabplatte zurückschlägt,

auf daß Licht hineinströme in die finstere Grube,
aber nicht die geringste Bewegung macht, sie
zurückzurufen zu neuem Leben, zu neuem Leiden,
und auch nicht im geringsten andeutet, daß
hinter diesem Lebenstorso ein Geheimnis
schlummert, das zum Leben und zur Lösung
hat kommen wollen, ein Rätsel, ein Mysterium,
dem er nachsinnen muß. Der Auferstehungs-
glaube geht durch dies Werk nur wie ein leiser
Klang aus der Erinnerung der Kindheit und aus
dem naiven Glauben des Volkes, nicht aber als
die feste Überzeugung des Weisen, des Christen,
nicht als ein Trotz des Lebens gegen den Tod
und gegen alles was es hemmt. Nicht als ob
ich ein starkes Lied des Lebens erwartete an
der Ruhestätte der Toten, aber doch ein Lied
vom starken Leben, von einem Leben in uns,
das stärker ist als der Tod, dem Leiden und
Tod schließlich nur Stufen sind zur vollen
Herrlichkeit.

Ich vermisse unter den gebückten, mühsam
mit gesenktem Blick und geschlossenen Augen
sich vorwärts schleppenden, von einem blinden,
schweren Verhängnis vorwärts getriebenen
Menschen, die schließlich mit äußerster Kraft-
anstrengung, mit gespannten Sehnen und ge-
schwellten Muskeln ihren letzten Gang gehen,
ich vermisse da die starken und großen
Menschen, die nicht sentimental dem Leben
eine letzte Kußhand zuwerfen, sondern geraden
Hauptes mit voller Klarheit und Ruhe dem
Tode entgegengehen, die im Leben feststehen
und doch in ihrer Rechnung das Ende nicht
außer acht gelassen haben und darum zu ihrer
Zeit dem Rufer folgen ohne Härmen und Grämen.

Überhaupt: Ist dieses Lied von der müh-
seligen Menschheit, die da todmüde durch das
Leben zum Grabe sich schleppt, um zu ruhen
von aller Erden- und Lebensmühe — ist das
die Melodie, die uns das heutige Leben singt? —

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