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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 10.1905

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Nr.12
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Rüttenauer, Benno: Neuere Erwerbungen der Nationalgalerie
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https://doi.org/10.11588/diglit.26235#0250

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NEUERE ERWERBUNGEN DER NATIONALGALERIE.

der leiseste Versuch einer künstlerischen Raum-
gestaltung und Raumverteilung gemacht worden
ist, überrascht sogar den bösesten Pessimisten.
Besonders der Eindruck im unteren Geschoß ist
auf den ersten Blick lamentabel. Und wenn
einer gar vom nahen Pergamon-Museum herüber-
kommt, wo man den spärlichen Trümmern
einer Kunst, ich weiß nicht wievielten Ranges,
ein wahrhaft königliches Haus, richtiger gesagt
einen echten und nicht verlogenen Tempel,
erbaut hat, so überkommt es einen hier wie ein
tiefes Mitleid mit dem armen Aschenbrödel der
nationalen neuen Kunst.

* *

*

Verzeihung. Ich wollte ja nicht über die
Nationalgalerie als solche reden, sondern nur
über die neueren Erwerbungen für dieselbe.

Sie sind pauvre genug. Sie sind auch aschen-
brödelmäßig. Die Mittel scheinen von äußerster
Beschränktheit zu sein. Oder werden sie ge-
legentlich für andere Museen verwendet? Ich
kenne die Bestimmungen darüber nicht, ich
sehe nur, wie in den amtlichen Mitteilungen
über die königlichen Museen, wobei es sich in
der Regel um Neuerwerbungen handelt, die
Nationalgalerie in jeder Beziehung hintan-
gestellt ist. Man erinnert sich an das eigen-
tümliche Angebot, das der Kaiser vor ein paar
Jahren dem Prinzregenten Luitpold gemacht hat.
Es scheint aber, daß trotz Ultramontanismus
die Münchener neue Pinakothek reichlichere
Ankäufe zu machen imstande ist, als die
Nationalgalerie.

Übrigens sind die materiellen Mittel nicht
allein entscheidend für das Schicksal einer
Galerie. Wo die Besorgung der Ankäufe in
falschen Händen liegt, z. B. einer Kommission,
in der jeder für den Vorschlag der anderen
stimmt, nur damit gegebenenfalls alle anderen
für den seinigen stimmen, wo überhaupt per-
sönliche Rücksichten, Cliquen und Konnektionen
ausschlaggebende Faktoren sind und das Geld
für Schund ausgegeben oder auch Besseres
planlos und verständnislos angehäuft wird, da
nützen die reichsten Mittel nichts, und tatsächlich
wurde in München in dieser Beziehung schon
viel gesündigt. Man hat da fast immer mehr
mit Rücksicht auf die Personen als mit Rück-
sicht auf die Galerie gekauft; damit kann noch
unter Umständen Gutes gestiftet werden, wenn
man nur keine Mißgriffe macht. Noch schlimmer
wirkt das planlose Herumtasten aus Mangel an
ehrlicher künstlerischer Überzeugung. Bei diesem
System wünscht man heute in die Rumpel-
kammer, was man gestern mit schwerem Geld
bezahlt hat. Die Menge tuts — hier eben nicht.

Wenn man in der Münchener neuen Pinako-
thek einmal die Bilder der Reihe nach durch-
geht, die heute in den oberen Regionen der
Wände — sie hingen auch einmal unten —

ein kaum beachtetes Dasein fristen, da fällt es
einem mit Wucht ins Bewußtsein, was für eine
schwere und verantwortliche Sache es ist, aus
Staatsmitteln für eine öffentliche Galerie Kunst-
werke anzukaufen. Bei keiner andern Gelegen-
heit kann man sich so leicht unsterblich
blamieren. Und es ist darum nicht zu ver-
wundern, wenn man die Sache gern so deichselt,
daß die Verantwortung selten einem Einzelnen
zugeschoben werden kann. Aber wenn man
damit die Gefahr für die Personen vermindert,
für die Sache, in diesem Falle für die Galerie,
wird sie leicht größer, denn nichts fördert eine
zerfahrene Planlosigkeit mehr als das Fehlen
einer dominierenden persönlichen Verantwor-
tung. Vielköpfige Kommissionen mit Mehrheits-
beschlüssen und Gesamtverantwortung haben
bis jetzt in Kunstangelegenheiten fast immer
verhängnisvoll gewirkt.

„Es scheint,“ sagt in diesem Sinn Hugo von
Tschudi, „daß ein wirkliches Mäcenatentum an
die Persönlichkeit gebunden ist. Der Staat hat
kein Talent dazu . . . Der Schöpfung einer guten
öffentlichen Sammlung stehen fast unüber-
windliche Hindernisse entgegen.“*

Die Ankäufe für die Nationalgalerie werden
vor der Welt von einem Manne vertreten.
Und das ist gut, denn da gibt es kein Ver-
stecken des einen hinter den andern, wie man
es so oft erlebt. Und so wird denn von dem,
was die Nationalgalerie ankauft, allgemein ge-
sagt: Tschudi hat es angekauft. Ihm wird ohne
weiteres alle Verantwortung zugeschoben.

Ob das auch wirklich ganz gerecht ist und
den inneren Vorgängen völlig entspricht? Nach
der positiven Seite wohl zweifellos. Ichmeine:
die tatsächlichen Anschaffungen sind offenbar
geschehen aus der freien Initiative und Über-
zeugung des einen Mannes. Ob es sich aber
auch mit den Unterlassungen so verhält ?

Es ist auffallend, daß die Nationalgalerie
schon mehrere Jahre her von deutscher Gegen-
wartsmalerei fast nichts mehr angekauft hat.
Und doch weiß man, daß der Direktor der
Galerie dieser Malerei persönlich mit viel
Sympathie gegenübersteht, die in der Ver-
gangenheit sogar, wie man raunt, gelegentlich
bis zur Einseitigkeit und Ungerechtigkeit ge-
gangen sein soll. Man vermutet also vielleicht
nicht mit Unrecht — an Analogien dazu fehlt
es wahrhaftig nicht —, daß ein höherer Wille
in dieser Richtung Schranken setzt. Wenn dem
so ist, dann wäre freilich abermals die nament-
liche persönliche Verantwortlichkeit eine halbe
Jllusion.

Halten wir uns aber für heute an die positive
Seite. Die Hauptsache bleibt doch immer, daß

* Mappenwerk: „Die Werke A. B. usw., München,
Photogr. Union“ — wo über Böcklin sehr viel Schönes zu
lesen ist, sowohl in den einschränkenden wie in den be-
wundernden Partien.

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