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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 10.1905

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Nr.12
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Rüttenauer, Benno: Neuere Erwerbungen der Nationalgalerie
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https://doi.org/10.11588/diglit.26235#0254

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K. P. Burnitz. Landschaft.

Aber doch spricht eine große künstlerische
Auffassung der Natur aus ihnen, was man von
so vielen Naturkopien und Skizzen in heutigen
Ausstellungen, wo die Luft wie zum Greifen
gemalt ist, eben gerade nicht sagen kann. Und
so sind auch seine Genrebilder bunt, ohne Ge-
fühl für Farbe. Sie verdienen nichtsdesto-
weniger der Vergessenheit entrissen zu sein.
Sie wirken frischer und unmittelbarer, als was
viel Berühmtere in jener Zeit gemalt haben.

Zu diesen gehört nun allerdings nicht
Spitzweg, von dem die Galerie ebenfalls zwei
neue Bildchen zu dem älteren Besitz hinzu
erworben hat. Und die neu hinzugekommenen
sind die besten. Sie sind ganz außerordentlich.
Spitzweg teilt mit einigen anderen deutschen
Malern das eigentümliche Los, vom großen
Publikum, wenn es je groß war, mehr wegen
ihrer Poesie als wegen ihrer „Malerei“ geschätzt
worden zu sein, was dann leicht das Vorurteil
gegen ihn erzeugte, daß seine Malerei sein
geringstes Verdienst sei. Wer etwa noch heute
in diesem Irrtum befangen sein sollte, den
würden vielleicht die beiden neuen Bildchen
der Nationalgalerie endlich bekehren. Bei mir
hätten sie es gründlich getan, wenn es noch
nötig gewesen wäre. Aber so überraschend
gute Malerei wie diese hatte ich doch von
Spitzweg noch keine gesehen. Sie behandeln
Motive, wie man sie von diesem Idylliker er-
wartet. ,,Der Herr Pfarrer“ heißt das eine, das

andere „Die Dorfgasse“. Aber in beiden ver-
schwindet das Motiv vollständig hinter der
rein malerischen Wirkung. Das Stoffliche ist
wie nicht vorhanden. Das hatte ich bei Spitz-
weg noch nicht in diesem Grad erlebt.

In diesem Zusammenhang ist recht ein
Wort über Viktor Müller am Platz. Er war
bis vor kurzem überhaupt nicht in der National-
galerie vertreten. Nun hat dieses Museum den
Vorzug, sein Schneewittchen zu besitzen. Bis-
her kannte ich von Müller nur die großen Bilder,
die man in Frankfurt und München sehen kann,
und ich muß gestehen, daß ich sie nie ganz
in Einklang zu bringen vermochte mit dem,
was ich sonst von ihrem Autor hörte. Erst
vor diesem Schneewittchen mit den sieben
Zwergen ging mir ein Licht auf und konnte
ich einigermaßen ahnen, was dieser Künstler
im Malerischen weit über seine Zeit hinaus
angestrebt haben mochte, ohne es freilich in
seinen großen Bildern tatsächlich verwirklichen
zu können. Auch für diesen Romantiker wie
für Spitzweg sind die neuen Erwerbungen der
Nationalgalerie überraschender als viele andere
ihrer Werke. Da wie dort sehen wir in auf-
fallender Weise das rein Stoffliche aufgesaugt
vom Formalen, und das poetische Motiv in den
Hintergrund gedrängt vom malerischen Interesse.

Es geht nicht, über die Romantik in
Bausch und Bogen abzusprechen. In der Dich-
tung liegt es sonnenklar zutage: Die ersten

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