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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 10.1905

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Nr.12
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Charitius, Franz: Schäfers Klagelied?: [Bemerkungen zu dem Bilde "Der Regenbogen"]
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https://doi.org/10.11588/diglit.26235#0272

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C. D. Friedrich. Der Regenbogen.

In den „Rheinlanden“ 1905, S. 298, steht
ein Aufsatz von Dr. F. Fries: Bemerkungen zu
der Ausstellung von Werken deutscher Land-
schafter des XIX. Jahrhunderts. Dort ist auch
ein Landschaftsbild des Malers Caspar David
Friedrich abgebildet und besprochen, das den
Namen „Regenbogen“ führt. Auf eine besondere
Beziehung, in der das Bild steht, ist aber nicht
hingewiesen worden, und auch in Weimar, wo
ich seinerzeit im Museum das Original sah,
wußten die Führer nicht darüber Bescheid. Das
Bild ist nämlich genau nach allen Motiven des
Goetheschen Gedichts „Schäfers Klagelied“
komponiert. Man möge das Bild mit dem Ge-
dicht vergleichen! Wir sehen auf der Anhöhe
des Vordergrundes den Schäfer, der an seinem
Stabe gebogen hinab ins Tal schaut. Den Berg
hinab zieht die Schafherde. Unten ist die weite
Wiese. Dort auf der Wiese steht der große
Baum, unter ihm wieder der Schäfer mit der
Herde. Vielleicht hat er eben dort Regen, Sturm
und Gewitter verpaßt, denn der Himmel ist noch
von dunkelm Gewölk bedeckt, vor dem sich der
weite Regenbogen ausbreitet. Unter dem Glanze
des Regenbogens steht auf der Ebene das Haus,
dessen Tür verschlossen bleibt. Und weiter im
Hintergrunde dehnt sich die See aus, über die die
Geliebte vielleicht weggezogen ist. Das Bild in
seinem Verhältnis zu Goethes Gedicht zeigt den
tiefen Gegensatz der Malerei zur Dichtung: die
äußerlichen, sichtbaren Bestandteile, von denen
das Gedicht redet, sind getreulich verwertet; aber
wo ist die Stimmung des Gedichts geblieben?

^CHÄFERS KLAGELIED?

Da droben auf jenem Berge,
da steh ich tausendmal
an meinen Stab gebogen,
und schaue hinab in das Tal.

Dann folg ich der weidenden Herde,
mein Hündchen bewahret mir sie,
ich bin herunter gekommen
und weiß doch selber nicht wie.

Da stehet von schönen Blumen
die ganze Welt so voll;
ich breche sie ab, ohne zu wissen,
wem ich sie geben soll.

Und Regen, Sturm und Gewitter
verpaß ich unter dem Baum.

Die Türe dort bleibet verschlossen;
doch alles ist leider ein Traum.

Es stehet ein Regenbogen
wohl über jenem Haus!

Sie aber ist weggezogen,
und weit in das Land hinaus.

Hinaus in das Land und weiter,
vielleicht gar über die See,
vorüber, ihr Schafe, vorüber!

Dem Schäfer ist gar so weh. Goethe.

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