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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 10.1905

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Nr.12
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Kisa, Anton Carel: Das Nackte in der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.26235#0274

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DAS NACKTE IN DER KUNST.

eine Vorliebe für Schauerszenen Hand in Hand
gegangen, ganz. ä la Nero. Jetzt sind die
,,Nuditäten“ so gut wie ganz aus den Gemälde-
ausstellungen verschwunden, während ihnen im
Pariser Salon noch vor 25 Jahren ein eigener
dickleibiger Katalog gewidmet werden konnte.
Der Impressionismus hatte sich allerdings mit
dem Nackten abzuünden, — es ging schnell und
glatt und dann ließ er es fallen.

Allerdings spielt es im Neu-Idealismus immer
noch eine große Rolle. Dem pantheistischen
Naturgefühle, der arkadischen Stimmungsmalerei
ist es geradezu unentbehrlich. Böcklin genügten
die natürlichen Gestaltungen nicht, er ergänzt
sie durch Geschöpfe seiner Phantasie, die keine
Beinkleider und keine Schnürleiber tragen. Die
ungebändigte Kraft heranbrausender Meeres-
wogen gestaltet sich ihm zu dreisten Nereiden
und Tritonen, die Glut italienischer Mittags-
sonne zaubert den scheuen Pan mit seinem
Flötenspiele hervor. Ludwig von Hofmann und
selbst Thoma können den warmen Duft heim-
licher Sommerau nicht schöner versinnlichen,
als durch die nackten, halbbeschatteten Körper
badender Jünglinge und Mädchen. Es wäre
unwahr, unnatürlich, diesen Gestalten irdische
Hüllen anzuhängen, der keusche Hauch der
Idylle würde dadurch grobsinnlich zerstört.
Dazu kommen bei Böcklin wie bei Hofmann
rein koloristische Motive, wie bei den Vene-
zianern. Das Nackte bildet bei ihnen zugleich
einen wesentlichen Bestandteil der farbigen
Komposition.

Andere Gründe sind bei dem Hauptdarsteller
des Nackten, Max Klinger, maßgebend. Ihm,
der von der Antike ausgeht, mit ihren Kunst-
elementen operiert, handelt es sich haupt-
sächlich um den nackten Körper als solchen.
Er ist genötigt, das abgestorbene antike
Schönheitsideal durch ein modernes, durch die
Freude am Sport geschaffenes zu ersetzen, den
Körper voll Sehnen und Muskeln, elastisch wie
Stahl und dennoch nervös empfindlich, spirituell,
einen Athleten voll Geist. Sein Schönheitsideal
ist nicht das ruhig beschauliche der Antike,
das sich nach Winkelmanns Worte ,,dem Be-
schauer darbietet“, sondern unserer rastlosen
Zeit entsprechend, in tausendfachem Spiele der
Muskeln und Sehnen dramatisch bewegt, ein
Mikrokosmus, der von tiefen seelischen Emp-
findungen erschüttert erscheint. Mit diesem
Ideal entfernt sich Klinger aber auch vom rein
Malerischen, er ist ein Plastiker, bevor er noch
zu Marmor und Meißel gegriffen.

Daß die Plastik nicht auf die Darstellung
des Nackten verzichten kann, ist selbstver-
ständlich. In ihm allein findet sie den straffen,
geschlossenen Umriß, die Einfachheit der
Gliederung, auf welcher ihre vornehmste Wir-
kung beruht. Was für die Malerei ein Mangel
ist, ist für sie ein Vorzug. Meunier, Hilde-

brand, Minne beherrschen den nackten Körper
mit vollendeter Meisterschaft, obwohl sie das
Vorurteil gegen die moderne Tracht nicht teilen
und auch in ihr einfache Größe auszudrücken
wissen. Das Nackte ist ihnen, wie den Römern
bei den „achilleischen“ Porträtgestalten Aus-
druck konzentrierter Kraft, Mittel zur Erhebung
des Individuellen zum Typischen.

Wo soll man derartiges aber, wo Klinger-
schen Mikrokosmus in jenen geistlosen, jtüch-
ternen, unsäglich trockenen Aktfiguren „herber“
Jünglinge und unreifer Mägdlein finden, welche
seit einigen Jahren die Sockel öffentlicher Plätze,
Anlagen und Gebäude einnehmen? Diese ge-
dankenlose Aktkunst ist um kein Haar besser
als der Allegorienkram von früher, sie ist
im Grunde nichts anderes als ein neuer
akademischer Zopf. Ein Akt ist noch lange
kein Kunstwerk, sondern erst die Vorstudie zu
einem solchen ; aus dem Akte soll sich erst
mit Hilfe der Idee das Kunstwerk des nackten
Körpers entwickeln. Der Vergleich mit den
Athletenstatuen der Griechen, welche auf den
Straßen zum Stadion, in den Gymnasien auf-
gestellt waren, würde in keiner Weise passen.
Diese waren Porträtfiguren und als solche
Selbstzweck, die Nacktheit und realistische
Durchbildung wohlbegründet durch ihre Be-
stimmung. Über die Bedeutung der modernen
Aktfiguren als Denkmäler zerbricht man sich
dagegen vergebens den Kopf; finden ja oft nicht
einmal die Schöpfer selbst einen Namen für
ihr Kind. Lieber noch als auf diesem Wege
sähen wir unsere Denkmälerkunst zu der
nackten Schönheit in mythologischem oder
allegorischem Aufputz zurückkehren.

Auch unserer neu erstandenen Plakatkunst
droht durch die Aktmeierei Gefahr. Anstatt
die Phantasie ein wenig anzustrengen, greift
der Künstler in seine Studienmappe, holt eine
nichtssagende Aktfigur hervor, gibt ihr ein
Attribut in die Finger, und das Plakat ist fertig.
So ein Muskelmann oder so eine vollbusige
Schöne paßt ja auf alles und zieht immer.
„Nichts leichter als einen Akt zeichnen“ hat
kein Geringerer als — Böcklin gesagt, auf den
sich Mancher zur Entschuldigung seiner Ge-
schmacklosigkeit berufen mag. Denn ist es
nicht ebenso ein Zeichen dafür, wie für
Phantasiearmut, wenn z. B. ein Künstler als
Plakat die Halbfigur einer nackten, mageren
Schönen hinsetzt, ihr eine Palette in die Linke
und die Statuette einer zweiten nackten Schönen
in die Rechte gibt?

Und nun das Fazit: Die Proteste, welche
gegen die Nuditätenschnüffelei losgelassen
werden, der Hohn und Spott, welchen diese
„bornierten Tugendwächter“ ernten, sind jeden-
falls gut gemeint. Aber die braven Leute,
welche sich in der Tagespresse als Schützer
der Kunst aufwerfen, sind um mehrere Jahr-

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