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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 27.1917

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Heft 6
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Häuselmann, Johann Friedrich: Kunstwissenschaftliche Betrachtungen über städtische Bauformen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26489#0145

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nicht ganz umsonst sein, wenn sie aus den Blättern der
Geschichte denselben Geist des Lebendigen wieder zu
erschauen suchen. Es fängt freilich in der deutschen Bau-
geschichte ganz anders an,
als die kommenden Auf-
gaben gestaltet sein wer-
den, denn Karl der Große
ging aufs Ganze, ihm war
das Schaffen würdiger
Gotteshäuser für die Hei-
denbekehrung oberstcs Ge-
bot, das häusliche Einord-
nen der Menschen in cincn
Baugedanken kam crst
nachher. Aber wie damals
eine ungeheure Spann-
kraft nachhielt, rim mit
wissenschaftlichem Dcnken
und künstlerischem Fühlen
die Form der ersten deut-
schen Dome zu finden,
das ist heute wieder sehr
vorbildlich, wenn auch die
Dome von heute die Hütte
des einzelnen Mannes, der
einzelnen Fannlie sein sol-
len. Es ist doch dasselbe
Sichhingeben an den Sinn
einer Aufgabe, dasselbe
Schaffen entsprechendbr
Formcn, die fähig sind,
ein Volk an ein mensch-
liches Gestalten seiner höch-
sten Erwartungen glaubcn
zu lassen. Es ist für unscre
Betrachtungen dann weni-
ger von Belang, in welchem
Maße die Völkcr ciner
Baukunst einer Aeit ge-
folgt sind; vielmehr vcr-
dient unser Beachten die
Art, wie sich die Baukünst-
ler ihrer Aufgabe untcr-
zogen haben. Und auch hier
bewahrheitet die Bauge-
schichte, daß ein Bauztveck
selten in einer Stilzeit
erschöpfend erfüllt wurde,
sondern daß der Stil sclbst
nicht eigentlich zusammen-
gehörig mit dem Wesen
ffnes^Bauzweckes an sich
ch. So kommt der deut-
sche Dom erst in der Gotik
zur höchsten Entwicklung,
aber gerade deswegen
empfinden wir heute die
romanischen Dome als Ge
stalten

Rathaus in Augsburg. (17. Jahrh.)

sialten einer viel tieferen, ursprünglicheren Schöpferkraft
und emes vwl sclbsiändigcrcn Willcns. Dic Gotik stellt
cann gewi>lcrmaßen nur das Lcichtsinnbildlichc des

Kunstwissenschaftliche Betrachtungen über städtische Bauformen.

Vollerlösten im Künstler. Es war eben doch schon ein
Leichteres um das Ubernehmen der gotischen Merkmale,
die wohl eine deutsche Durchblutung erfahren haben,

die aber nicht so hochstre-
bend und erdengebunden
zugleich,sovielgestaltig und
formenklar gewesen sind,
wie die romanischcn. Man
wolle daraufhin den Doni
in Speyer und das Münster
in Ulm nebeneinander hal-
ten. Wie prachtvoll ruhig
liegt das Kirchenschiff ini
Mittel seiner umgebenden
Bauteile, wie schön er-
klären sich die Ouerachsen
an den Ausbauten und
Aufbauten, wie klar, fast
schneidend ist diese Aus-
strahlung des ganzen Bau-
wescns in dcn vierTürmen!
Und nun ini Münster der
fein ziselierte Einturm, das
immer gleich Nachklingende
in den zahlreichen Fialen,
das Lösende der Strebe-
bögen, so daß der Kirchen-
raum selbst fast unterdrückt
wird. Nie kommt bei eineni
gotischen Dom das schöne
Formenverhältnis heraus
wie bei cinem romanischen,
die Gotik gibt aber mehr
Iierendes und mitunter so
viel, daß die Urform der
Baumassen ganz über-
schüttet erscheint. Einzig
in der norddeutschen Back-
steingotik finden wir das
Förmliche klarer herausge-
stellt, während den süd-
deutschen Domen erst die
Patina der Aeit etwas
von dem Ausammenhalten-
den einer ruhigen Ober-
fläche geschenkt hat. Erst
wenn die Mauern grau,
fast schwarz sind, gewinnen
fie einigende Gestalt, und
es ist wohl nicht von un-
gefähr, wenn uns die neu-
gotischen Bauten des 19.
Jahrhunderts heute noch
so zergliedert, um nicht zu
sagen verfahren, anmuten.
BeimRomanischen wiedcr-
um geriet man beimHistori-
zisieren zu stark ins Dekora-
tiv-Schwulstige, auch die Baumassen selbst entstanden so,
weshalb kein neuromanischer Bau das bei aller Erden-
gebundenheit Leichte des Speyrer Domes erreicht hat.

Warenhaus in Dortmünd. (Wilhelm Kreis.)

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