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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 27.1917

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Heft7/8
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Röttger, Karl: Der Wahnsinn des Dichters
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https://doi.org/10.11588/diglit.26489#0215

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Der Wahnsinn des Dichters.

Und in dem langen Rheingesang an Sinclair schrieb
er dies:

Da feiern ein Brautfest Menschen und GLtter,

es feiern die Lebenden all,

und ausgeglichen ist cine Weile das Schicksal.

Und die Flüchtlinge suchen die Herberg
und süßen Schlummer dis Tapfern . . .

Auch sang der Schönheitstrunkene, der Berauschte,
der Hold-Wahnsinnige seinen Ausgleich mit Christ dem
„Einzigen", dessen Verkünder zu werden er vom Leben
nicht vorbestimmt zu sein glaubte. Aber resigniert, in
tiefer Weisheit, schloß er diesen fast schönsten Gesang
mit den Worten:

Die Dichter müssen, auch
die geistigen, weltlich scin.

Die Dichter müssen, auch

Die geistigen, weltlich sein.

Stand doch auch selbst Christ, der Gott, in der Welt
und unter Menschen. Und redete menschlich. Redete
aber auch gleicherzeit so, daß man sagte, er hat den
Teufel. Er ist ein Narr. Hölderlin war weise geworden,
wußte aber doch gleichzeitig das Glück des Wahns und
holden Rausches ... Er, ein Diener des Göttlichen — sah
auf einmal, wie nahe der Gott war: in der Stimme, im
Gesang, in Sprache und Geist. Und Sinclair fühlte
ganz deutlich: die trübe, dürre Menschenwelt ist es, die
in Wahrheit wahnsinnig ist gegen diesen reichen Geist.
Waren wir alle so wahnsinnig wie er, seufzte er, wie
schön ware die Welt! Denn einmal war eine Stunde,
die war über allen schön und reich. Da fand Hölderlin
die Worte wie selten, um zu sagen seines Denkens Tiefe.
Sie saßen den ganzen Nachmittag und bis abends spat.
Und Sinclair fühlte ganz deutlich, daß der Dichter nahe
daran war, das göttliche Geheimnis der Sprache zu
entschleiern.

So sprach der Dichter: Von Anbeginn war es nicht
also, daß der Menschen Herz und Geist so leer war.
So trüb und ohne Schwung. So arm an Geist die Sprache
und das Wort. So hölzern sein Gefühl und Leben. Von
Anbeginn ist es nicht also gewesen . . .

Fragst du, warum es so sei?

Weiß ich's? Sollen wir künden, woher die Sünde
des Menschen sei und was sie sei?

Sollen wir nicht vielmehr zuerst künden, was die
Gesundheit des Menschen sei? Das ist dies: Das
Leben nach jenen göttlichen Maßen und Gesetzen, die
wir dort finden, wo das Gewaltige sich ausspricht.
Jm Sturm der Nacht, im Sauseln des Sommertags.
O, auch Sprache und Geist bringen einen Beweis mit
sich, daß sie groß und furchtbar sind, und daß man sich
ihnen hingeben soll. Und das ist die Stimme, der Klang
in ihnen selber. Ohne Rhythmus ist Denken und
Sprechen nur dort, wo Nüchternheit und Liebeleerheit
sich sagen. Wo das höhere Menschsein sich spricht, da ist
es nicht also. Doch darf es nicht sich so sagen, wie es so
oft tut; denn auch die Sprache ist vielfach gestorben und
ist eingesargt gewesen und ist es noch in dem, was viele
Kunst nennen, und sind die Dichter nichts anderes oft
gewesen, wie Leute, die Lottosteine legen, probierend,
ob es so oder auch anders passe: mit den Worten, mit

den Reimen. Lohnt es denn der Mühe, mit so sprach-
geistarmen Worten Gefühle in Reime zu zwingen, wo
dann nichts mehr übrig bleibt als das mühselig gesuchte
Kunststück, zu reimen, was doch dem Geist die Kehle zu-
schnürt? Nur der Geist ist Poesie, der das Geheimnis
eines ihm eingeborenen Rhythmus in sich tragt,
und nur mit diesem RhythmuS kann er lebendig und
sichtbar werden; denn dieser Rhythmus ist seine
Seele — aber die meisten Gedichte sind noch lauter
Schemen, keine Geister mit Seelen . . .

Es gibt höhere Gesetze für die Poesie. Jede Gefühls-
regung entwickelt sich nach neuen Gesetzen, die sich nicht
anwenden lassen auf andere, denn alles Wahre ist
prophetisch und überströmt seine Aeit mit Licht,
und der. Poesie allein ist anheimgegeben, dies Licht
zu verbreiten, drum müßte und kann nur durch sie der
Geist hervorgehen. Geist geht nurdurch Begeisterung
hervor. Und nur dem fügt sich der Rhythmus, in
welchem der Geist lebendig wird.

Solange der Dichter noch den Versakzent sucht
und nicht vom Rhythmus fortgerissen wird, so lange
hat seine Poesie noch keine Wahrheit — Poesie ist nicht
sinnloses, albernes Reimen, an dem kein tieferer Geist
Gefallen finden kann ... Wer erzogen ist zur Poesie im
göttlichen Sinn, der muß den Geist des Höchsten für
gesetzlos anerkennen über sich und muß das Gesetz (von
Menschen gemacht) preisgeben. Nicht wie ich will,
sondern wie du willst! Und so muß er sich kein
Gesetz bauen, denn Poesie läßt sich nimmer einzwängen,
sondern der Versbau wird ewig ein leeres Haus blei-
ben, in dem nur Poltergeister sich aufhalten . . . Aber
nun sag ich das Schwerste: der Mensch vertraut so selten
der Begeisterung, in der er hingegeben ist an Gott und
Welt, ganz großer Liebender, und darum kann er die
Poesie als Gott nicht fassen! Gesetz in der Poesie
ist Jdeengestalt, der Geist muß sich darin bewegen und
nicht ihr in den Weg treten; Gesetze, die der Mensch
dem Göttlichen anbilden will, ertöten die Jdeen-
gestalt, und so kann dann das Göttliche sich nicht durch
den Menschengeist in seinem Leib bilden. Der Leib aber
ist die Poesie, die Jdeengestalt, und dieser, so er ergriffen
vom Tragischen, wird tödlich faktisch; denn das Gött-
liche strömt den Mord aus Worten, die Jdeengestalt,
die der Leib der Poesie ist, die morde — so ist Tragisches,
was Leben ausströme in der Jdeengestalt (Poesie) —
denn alles ist tragisch.

Und das Leben im Wort — im Leib — ist Auf-
erstehung (lebendig faktisch), die bloß aus Gemordetem
hervorgeht. Der Tod ist der Ursprung des Leben-
digen . . . Ha (sprach er weiter), die Poesie gefangen
nehmen wollen in einem Gesetz, das ist nur, damit der
Geist sich schaukle, an zwei Seilen sich haltend — damit
die Täuschung sei, als ob er fliege . . . Aber ein Adler,
schau doch, der seinen Flug nicht abmißt, obschon die
eifersüchtige Sonne ihn niederdrücken will — mit
geheim arbeitender Seele im höchsten Be-
wußtsein auSweichend und so die heilige,
lebendige Möglichkeit des Geistes erhaltend — in
dem brütet der Geist sich selber aus und fliegt — vom
heiligen Rhythmus hingerissen ost, dann getragen, dann
 
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