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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 27.1917

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Heft7/8
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Röttger, Karl: Der Wahnsinn des Dichters
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https://doi.org/10.11588/diglit.26489#0216

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Der Wahnsinn des Dichters.

geschwungen, auf und ab, iin heiligen Wahnsinn, dem
Göttlichen hingegeben! — Denn innerlich ist nur die
eine: die Bewegung zur Sonne, — die hält am
Rhythmus fest . . .

Dies war das Gesprach Sinclairs mit dem Dichter,
dessen Wahnsinn also sprach. Und wenn er auch nur
dasaß und zuhörte, es war doch ein Gespräch der zwei,
denn der eine lauschte so fein und antwortete stumm so
selig, wie es selten in der Welt in einem Gespräch ge-
schehen sein mag. Und heilig fühlte der Freund, daß
ihm dies alles heilig sein müsse. . . Und saß in beglück-
tem Staunen vor solch frommem Denken und Schauen-
Der Dichter griff aber zur Seite in die Papiere und
begann zu lesen, mitten aus einem Gesang:

Doch eimgen eilt

dies schnell vorüber, andere

behalten es länger.

Die ewigen Götter sind
voll Lebens allzeit; bis in den Tod
kann aber ein Mensch auch
im Gedächtnis doch das Beste behaltcn;
und dann erlebt er das Höchste.

Nur hat ein jeder sein Maß;

denn schwer ist zu tragen

das Unglück, aber schwerer das Glück.

Cin Weiser aber vermocht es,
vvm Mittag bis in die Mitternacht
und bis der Morgcn erglänzte,
beim Gastmahl helle zu bleiben . . .

Er wollte noch weiter sprechen: Sieh doch, so du dich
kleiden willst in eine Form, die da ist, sei es im Leben,
sei es im Gesang, so kannst du nur wiederholen gewesenen
Geist ... Aber den Urrhythmus — wer faßt den ...?
Noch gibt es Menschen, die fassen den Donner und was
er spricht — die Sonne und was sie leuchtet — nicht
mein ich das Symbol, was die Menschen aus diesen
Dingen allen gemacht haben, sondern die Dinge mein
ich, was sie sind und wirken . . . Aber die Sprache, die
von Anfang ist und die doch erst werden kann und noch
ist . . . wer faßt die? Ah, klar sprechen . . . Ah, sagen,
was noch nie gesagt ward, — ah, wie soll ich's? Ah,
es gibt doch Wiegen, Bewegung, und göttliches Schweben
und Schreiben und alles, alles — ah! Er war aufge-
standen, machte Gesten, schritt, tanzte und sank zuletzt
hin auf den Stuhl und war ganz still . . . Wie um zu
entschlafen . . . Sinclair rührte sich nicht . . .

Als nach einer ganzen Weile der Dichter aufschaute,
war sein Blick glanzlos und verstört . . . Sprach
ich? Wovon? Ah, ich, — kann nicht mehr... Da
nahm der Freund ihn, legte ihn langhin auf das
Sofa, legte ihm die Hand auf die Stirn und wartete,
bis er eingeschlafen.

Auf der Rückreise nach Homburg besuchte er in
Frankfurt Bettine Brentano, die Seele mit den grün-
goldenen Sonnenflügeln, und erzählte ihr all dieses.
Und die unruhige Seele saß ganz still und hörte zu und
fragte dann: der Geist soll wahnsinnig sein? Die Welt
ist es: gegen ihn gehalten... Das ist wahr, rief Sinclair;
aber sind wir nicht fast die einzigen, die diese Wahrheit
wissen? So war Sinclair voll Hoffnung . . . Wenn er
nur erst bei mir ist, wiederholte er sich jeden Tag . . .
Wenn er nur kommt . . .

6.

Und er kam. Nach Jahren . . . Berufen zu einem
Amt, das er immer schmerzlich ersehnt hatte. Sinclair
berief ihn in des Fürsten Namen zum Bibliothekar.
Ein Amt, das aber Sinclair von seinem Gelde bezahlte.
Denn das vermag die große Liebe und Treue, die
seltene, den Freund zu betrügen, um des Lebens und
aller Gerechtigkeit willen. Um der Liebe und Schönheit
willen. Um des Glückes des Freundes willen . . . Und
so lebte Hölderlin, der holdwahnsinnige Dichter, noch
Tage des Glücks m Homburg, nahe dem Freund und
dem Rauschen der heiligen Wälder. . .

Das war 1804. Vielleicht wäre zwei Jahre früher,
wie Sinclair gewollt, das Glück noch eben recht gekommen
zur völligen Genesung . . . Wer weiß! Der da wahn-
sinnig aus Frankreich gekommen war, war nicht wahn-
sinnig, wie Sinclair selbst gesehen hatte . . . Der jetzt
nach Homburg zu ihm gekommen war, der war es —
manchmal. Erst fast selten nur. Aber er war es. Sin-
clair, der erst noch an den Wahnsinn als eine Maske
glaubte, mußte es immer mehr erkennen — immer
deutlicher sehen . . . Oder sah auch er allmählich falsch?
Jm Lichte der Welt? Das sträubt sich unser Geist zu
glauben . . . Und nun begann das Tragischste: der
glühende, schöne Geist, tobend in Schrecknissen und
Ängsten, mußte ausgestoßen werden aus der Gemein-
schaft der Menschen ... Aus der Gemeinschaft derer, die
ihn liebten . . . Da noch kein Mittel erfunden und ge-
funden ist, wie ein „Gesunder" mit einem von Angst,
Not und Schwermut im Übermaß Geplagten, mit einem
Wahnsinnigen lebe... Sinclair, der Treue und Liebende,
wußte sich keinen andern Rat, als Friedrich Hölderlin
in eine Anstalt zu schicken. Jn der groben Kur der
Psychiater ward dem Gequälten soweit die „Ruhe",
daß er entlassen werden konnte . . .

Und still und scheu zog er bei einem Tischlermeister
dann ein und blieb bei ihm bis an sein Ende . ..

Die Welt war von ihm abgefallen, wie ein zu schwe-
res, lästiges Kleid. Er lebte und ging nur eingehüllt
in seine Stille und das Licht, das er innen tragen mochte.
So ward er fast ganz unsichtbar. . . Wer wußte ihn?
Der Weltgeist, der alles seine weiß . . . Dichtend,
musikmachend lebte er . . . fast, daß ihn Bürgergeist
ja noch für einen leidlich gesunden Menschen hätte halten
können, wenn er vermocht hätte, ihrer Hände Arbeit
auch mit zu tun. So aber hatte der Dichter doch noch in
diese Stille des Lebens bei dem braven Aimmer die Art
mitgenommen, in die Sonnenuntergänge zu starren,
hinter denen er immer noch sein Schönheitsland ver-
meinte, und hatte immer noch die Narrheit, Verse zu
schreiben . . . Schrieb auch manchmal noch Verse von
erschütternder Schönheit, die natürlich der gesunde
Menschenverstand der Welt alü Wahnsinn identifizierte,
ohne den Psychiater als Gutachter dabei nötig zu haben.

Ha, so dichtete der im Wahnsinn noch:

Mit gelben Blumen HLnget
und voll von wilden Rosen
das Land in den See.

Jhr holden Schwäne,

und trunken von Küssen

tunkt ihr das Haupt

ins heilig nüchterne Wasser . . .

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