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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 27.1917

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Heft 1
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Hauptmann, Gerhart: Der Narr in Christo
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https://doi.org/10.11588/diglit.26489#0032

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Der Narr m Christo.

Vi'elleicht habe ich dich nicht recht verstanden: wer ist
der Vater, der in dir ist?"

„Derselbe, durch den ich wiedergeboren bin," sagte
der arme Narr in Christo.

„Du bist also deiner Ansicht nach wiedergeborcn?
Wieso? Womit begründest du das? Meine Demut
würde mir nicht gestatten, so etwas ohne Vorbehalt etwa
von mir selbst zu behaupten."

„Jch aber", sagte Emanuel ruhig, „weiß, daß ich
wiedergeboren bin."

„Jnwiefern, mein Sohn, bist du wiedergeboren?"

„Jch bin durcb die Gnade Jesu Christi wiedergeboren,
nicht in Fleisch, sondern in seinem heiligen Geist. Ge-
brechlich und geknechtet an meinem Leibe, bin ich im
Geiste stark und frei geworden. Jcb war tot, begraben
in der Verachtung der Welt und bin durch den Vater
lebendig geworden. Der Geist ist es, der lebendig macht,
das Fleisch ist kein Nutze."

Der Pastor legte aus irgendeinem Grunde die Pfeife
weg. „Sprecht weiter, redet nur getrost und frei, was
Ahr auf dem Herzen habt. Jch habe Aeit. Jch werde
Euch zuhören," sagte er in ermunterndem Ton. „Jhr
seid also in der Wiedergeburt. Jch nehme an, daß Jhr
eine andere Wiedergeburt im Sinne habt, ols jene, die
in der heiligen Taufe stattfindet und durch die wir aus
Heiden Christen geworden sind und die uns ja allen
gemeinsam ist. Übrigens werdet Jhr mir am Ende noch
sagen, wem Jhr Euere besondere Erkenntnis verdankt,
denn Jhr habt sie wohl kaum aus Euch selber gewonnen."

„Jch habe nichts von mir selbst," sagte Quint, „son-
dern alles von dem, der in mir ist."

Der Pastor wurde ein wenig argerlich. „Jch möchte
dich bitten, mein Sohn," ermahnte er Quint, „mit mir
in einem ganz einfachen und natürlicben Ton, ich möchte
fast sagen, menschlich zu reden. Was heißt das, du
habest deine Erkenntnis, deine Belehrung von dem, der
in dir ist? Oder sage mir wenigstens: was glaubst du
denn, wer bist du denn selber?"

Emanuel fragte daqeqen: „nach der Geburt im Geist
oder im Fleisch?"

„Meinetbalben in beiden Geburten."

„Nacb der Geburt im Fleisch", sagte Quint, „bin ich
des Menschen Sohn! Nach der Geburt im Geist aber
Gottessohn."

Der Pastor erhob sich entsetzt vom Stuhle. „Um
Gotteswillen, was redest du da?" rief er aus. „Das
allerdings ist im besten Falle eine Verstiegenheit, die in
das Gebiet der Krankheit gehört. Und das muß ich
natürlich der Dame berichten." Er ging in Schlafscbuhen,
wie er war, mit wuchtigen Schritten durch das Studier-
zimmer. „Mensch, weißt du denn wirklich nicbt, was
du redest?" sogte er dann vor Emanuel stillstehend.
„Jesus Christus war Gottessobn, empfangen von dem
heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria! Sollte
deine Vermessenheit sich auch nur in Wahnsinn soweit
erheben, daß du behaupten wolltest, iener Hochgebenedeite
zu sein, so würdest du, trotz des Wahnsinns, Todsünde
auf dich laden."

Quint aber blieb still, und sein Gesicht verklärte eine
tiefe, innere Heiterkeit.

„Erklare dich mir noch einmal und zwar ganz deut-
lich, und sage mir mit klaren Worten noch einmal, was

und wie du's meinst." Damit machte der Pastor, wie
wenn er ersticken wollte, ein Fenster auf, das durch das
grüne Gewölk eines Buchenwipfels verfinstert wurde.

Emanuel sagte, „Gott ist ein Geist." Und er zog
seine kleine Bibel hervor und las: „Und niemand kennet
denSohn, denri nur derVatcr; und niemand kennet den
Vater, denn der Sohn und wem es der Sohn will offen-
baren. Wie wollen sie also den Sohn erkennen und von
ihm wissen, außer wenn der Vater in ihnen ist?"

„Ich kann dir nur den Rat geben, bester Freund,
deine Hand von diesen letzten und geheimnisvollsten
Dingen zu lassen, glaube mir, die erlauchtesten Geister,
die allergelehrtesten Köpfe haben sich schon vergeblich
und oftmals zum Scbaden ihrer unsterblicben Seelen
daran versucht," dies sagte nicht obne Emphase der Geist-
liche. „Ich möchte dir raten," fuhr er fort, „dich an die
übliche Deutung zu halten, die jene Heilandsworte dahin
interpretiert, daß allerdings die ganze Macht, Krast und
Tiefe des Gottessohnes nur der Vater ergründen kann,
zu dem wir anderen, wir niederen Sterblichen nur durch
die Liebe des Sohnes, unseres.Ceilands, gelangen können.
Bevor wir aber unsere Besprecbung beendigen, Bester,
möcbte ich wissen, was ich der Dame von deinen prak-
tischen Zielen berichten soll. Gehörst du vielleicht zu
denen, die an das apostoliscbe Vermächtnis auch insofern
glauben, als sie meinen, daß sie durch Gebet oder durch
Handauflegen Kranke gesund zu machen imstande sind?"

„Nein!" sagte Quint. „Auch ist der Heiland nicht
auf die Welt gekommen, um zu schwelgen, zu prassen
und ein Diener des eigenen Leibes oder fremder Leiber
zu sein. Er ist gekommen, nicht um uns die Welt ge-
winnen zu belfen, sondern die Welt zu überwinden."

Hiergegen wandte der Pastor ein, daß immerhin, wie
ja auch Emanuel wissen müsse, von Jesu sowohl als von
den Aposteln Kranke durch Handauflegen geheilt worden
seien. Der Heiland babe sogar Lazarum, Iairi Töcbter-
lein und den Jüngling zu Nain von den Toten erweckt.

Hier sah der Geistlicbe, wie Emanuel Quint kaum
merkbar den Kopf schüttelte, und fragte ihn, warum er
diese Bewegung gemacht habe.

„Warum und zu welchem Awecke", gab jener zurück,
ohne die Frage zu beantworten, „hatte der Heiland wohl
den Mann, den Jüngling und das Kind in diese be-
jammernswürdige Welt zurückerweckt, die sie ja bereits
überwunden hatten?"

Der Pastor begriff zunächst diese überraschende Frage
nicht.

„Jch würde denken," fubr der Narr in Christo zu
reden fort, „er habe es als Weltenricbter getan, und um
die Tcten durch daü erneute Leben für Sünden, die sie
begangen hatten, zu strafen. Aber wer hat des Menschen
Sohn zum Weltenrichter gemacht? Er kannte den
Vater, der in ihm war, wie ich den Vater kenne, der in
nür ist. Dieser Vater läßt regnen über Gerechte und Un-
gerechte, und laßt seine Sonne aufgeben über Böse und
Gute, wie in meinem Herzen geschrieben steht. Herr
Pastor: er läßt seine Sonne aufgehen! das ist nicht etwa
vor allem diese, die hier auf die Bücherregale scheint,
es ist nur die geistliche Sonne des Vaters, die auch den
Bösen und Ungerechten zuteil wird. Wenn icb nun aber
an den glaube, der nach dem Wort des Apostel Paulus
nicht die Gerechten gerecht macht, sondern die Ungerechten
 
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