Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für christliche Kunst — 6.1893

DOI Heft:
Heft 1
DOI Artikel:
Keppler, Paul Wilhelm von: Neuentdeckte vorromanische Wandmalereien
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4305#0015

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
18!).!. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 1.

Gleichwohl sind sie nicht als Zeitgenossen der
Gemälde von Oberzell anzusehen. Nicht blofs
die stoffliche und ikonographische Erweiterung
des Cyklus, auch der ganze Stil der Burgfeldener
Malereien nöthigt, dieselben einer spätem Zeit
zuzutheilen. Die Behandlung und Zeichnung
ist in Burgfelden eine viel unbefangenere, freiere
und gewandtere; in den mit der altchristlichen
Kunst und durch diese mit der altklassischen
in Verbindung stehenden Stil ist inzwischen et-
was eingeflossen, was nicht mehr rückwärts weist
in die lateinisch-karolingische Formenwelt, son-
dern vorwärts in die romanische Periode, ein
stark nationales Element, welches in der Kräfti-
gung des Natursinns, in dem erfolgreichen Streben
nach kraftvoller Schilderung des Lebens, in den
mit germanischer Kampfesfreude wiedergegebe-
nen kriegerischen Szenen sich verräth.

Auch die Architektur der Kirche, welche
diese Malereien birgt, nöthigt zu einer spätem
Datirung der letztern. Diese Kirche selbst hat
ausgesprochenen frühromanischen Charakter; der
Thurm, wie aus der ganzen Technik zu ersehen,
gleichzeitig gebaut, zeigt in seinen reich aus-
gebildeten Schallarkaden bereits das Würfel-
kapitell, — jene Kapitellform, welche nach den
gründlichen Forschungen von Dehio und Bezold
(»Die kirchliche Baukunst des Abendlands« 1892,
I, G81 f.) zum erstenmal nachweisbar ist am West-
chor des Münsters zu Essen in der zweiten Hälfte
des X. Jahrh., zum zweitenmal an einer der Bern-
wardsäulen in St. Michael zu Hildesheini im
zweiten Jahrzehnt des XI. Jahrh., welche aber
in Süddeutschland später auftaucht als am Rhein
und in Sachsen.

Nach unserer bisherigen Kenntnifs des Ent-
wickelungsganges der Malerei im XL Jahrh.
werden wir zunächst nicht geneigt sein, die
Burgfeldener Gemälde nach 1050 anzusetzen.
Denn um die Wende dieses Jahrhunderts nimmt
eine Verfallsperiode ihren Anfang, in welcher
die alte Kunst mehr und mehr greisenhaft wird
und abstirbt. Hier aber zeigt sich noch eine
schöpferische und jugendliche Kraft. Freilich
ist dieser chronologische Schlufs nicht sicher
und unumstöfslich. Denn einmal konnte bis-
her die Fortentwickelung der Malerei nach den
Reichenauer monumentalen Werken lediglich an
den Miniaturen verfolgt werden, und in der
Buchmalerei ist zunächst jenes traurige Hin-
siechen des alten Stils zu konstatiren. Es wäre

immerhin denkbar, dafs die monumentale Ma-
lerei sich noch länger in der Höhe gehalten
hätte. Sodann ist auch die Möglichkeit nicht
ausgeschlossen, dafs eine einzelne Schule wie
die Reichenauer, gespeist vielleicht durch ge-
sunde Kunsteinflüsse von aufsen, von Italien
her, ihre Kraft und Blüthe noch weiter bewahrt
hätte. Darum kann vorerst nicht mit Sicher-
heit entschieden werden, ob nicht die Burg-
feldener Werke der zweiten Hälfte, ja vielleicht
dem Ende des XI. Jahrh. zuzutheilen sind.

Die Entscheidung anzubahnen, nicht sie zu
geben, ist Zweck dieser Zeilen. Es sei noch
angefügt, dafs von Kunstmaler Haaga genaue
Kopien der Wandgemälde in ihrem jetzigen Zu-
stand gefertigt wurden und in der königl. Alter-
thums-Sammlung in Stuttgart zu erfragen sind;
in letzterer ist ausgestellt eine in Farben ge-
setzte Wiedergabe des Gerichtsbildes in natür-
licher Gröfse; verkleinerte Abbildungen einiger
Szenen und Ansichten der Kirche im »Archiv
für christl. Kunst« 1893, Nr. 3. Wie verlautet,
beabsichtigt die württembergische Regierung eine
kolorirte Ausgabe des Ganzen.

Noch möchten wir die Aufmerksamkeit der
Sachverständigen auf eine in Burgfelden zu Tag
getretene Kuriosität aufmerksam machen. Unter
den Malflächen finden sich nämlich Thontöpfe
eingemauert; henkellose, längliche, runde Töpfe
mit ebenem Boden, aus rothem oder grauem
Thon, liegend eingesenkt in viereckige Löcher,
welche aus den Quadern ausgemeifselt wurden.
Die Töpfe sind ausgefüllt mit Steinen und Mörtel
und ihre mit Mörtel sorgfältig verschlossene
Oeffnung liegt unmittelbar unter dem Malbewurf.
Welchem Zwecke können diese Töpfe gedient
haben? An blofse Ausfüllung der Rüstlöcher kann
wegen Lage und grofser Zahl der Töpfe nicht
wohl gedacht werden. Reliquien fanden sich bei
sorgfältiger Oeffnung einiger nicht vor. Ich kann
mir nur denken, dafs die Krüge eingemauert
wurden in der Absicht, den Malgrund zu ent-
feuchten und die Haltbarkeit der Malereien zu
sichern; oder aber, dafs vielleicht der untere
leere Raum mit Weihwasser ausgefüllt war,
welches inzwischen verdunstet ist; diese Bei-
setzung von Weihwasser hätte denselben Zweck,
wie die anderwärts bezeugte Einmauerung von
Reliquien. Vielleicht aber weifs ein verehrter
Leser noch eine bessere Erklärung.

Tübingen. Paul Keppler.
 
Annotationen