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1893. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.
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und Bischöfen, welche dieselben nie trugen, nur
an deren Stellung in der Hierarchie erinnern,
und wohl auch bei jenen beizubehalten sind,
welche solche Insignien noch nicht kannten, so
mag auch die Kardinalstracht des hl.Hieronymus
an sein Verhältnifs zum Papste Damasus erinnern.
Jene Kleidungsstücke sind wie die Schlüssel,
deren man den Apostelfürsten nicht berauben
wird. Vermag Jemand, der im gothischen Stil
arbeiten soll, die griechischen Heiligen in ihrer
Tracht darzustellen, so wird er seinen Werken
Wechsel und damit neuen Reiz verleihen. Kann
er es nicht, ohne aus der Form zu fallen, so
werden wir lieber auf Richtigkeit der Tracht
als auf Stilreinheit verzichten. Das Wesentliche
bleibt doch zuletzt immer, dem Volke zu zeigen,
wer dargestellt sei, seine Stellung im kirchlichen
Organismus und in der Reihe der Heiligen aus-
zudrücken.
Eine der wichtigsten Fragen, zu denen unser
Thema hindrängt, bleibt immer die: „Darf
man auch noch jene Legenden schil-
dern, deren Unrichtigkeit wissenschaft-
lich feststeht." Ayala's These (a. a. O. p. 25]
trifft wohl das Richtige. Sie lautete ungefähr so:
„Religiöse Bilder anzufertigen, welche irgend
einen offenbaren Irrthum enthalten (der indessen
weder den Lehren des Glaubens noch den Ge-
setzen der Sittlichkeit widerspricht und die Leute
nicht ärgert), verbietet die Vernunft und die
Klugheit. Bereits vorhandene Bilder kann
man aber trotz solcher Irrung an ihrem Platze
lassen." Aehnlich äufsert sich Molanus (1. c.
lib. II. c. 28 sq.)
Schon das Konzil von Trient hat im We-
sentlichen dasselbe verordnet: „Bilder, welche
der Glaubenslehre widersprechen und den Un-
gebildeten Gelegenheit zu gefährlichem Irrthum
bieten, sollen nicht aufgestellt werden." Fried-
rich Borromäus behandelte in seiner Mailänder
Diözese die Sache eingehender und stellte den
Grundsatz auf: „Es soll nichts gemalt und ge-
bildet werden, was der Wahrheit der Schrift,
der Ueberlieferung oder der Kirchengeschichte
widerstrebt, damit nicht dasjenige dem Volke
im Bilde vorgestellt werde, was es in Büchern
nicht lesen soll. Auch Erzählungen, für welche
weder das Ansehen der Kirche (in den litur-
gischen Büchern u. s. w.), noch dasjenige be-
währter Schriftsteller eintritt, wofür im Gegen-
theil nur die grundlose Ansicht des Volkes Bürg-
schaft leistet, dürfen nicht gemalt werden." Vgl.
lakob, »Die Kunst im Dienste der Kirche«,
4. Aufl. S. 109 ff.)
Theoretisch mufs sein Satz allgemeinen Bei-
fall finden. Praktisch wird jedoch in den mei-
sten Fällen nicht leicht eine Einigung über das
Vorhandensein oder den Grad des Irrthums zu
erlangen sein. Die einen werden mit mehr
Liebe an alten Legenden hangen als die andern;
einige etwas als historisch wahr noch festhalten,
was kritischer angelegte Leute verwerfen. Man
kann aber jedenfalls die durch die christliche
Kunst darzustellenden Legenden nicht mit an-
dern poetischen Erzeugnissen auf gleiche Stufe
stellen. Mögen Odysseus oder Aeneas oder Sieg-
fried oderGudrun keine historischenPersonen sein,
ändert das viel am Werthe der sie verherrlichen-
den Dichterwerke? Die Legenden, welche in der
kirchlichen Kunst und in den Gotteshäusern
geschildert werden, und nur diese berücksich-
tigen wir hier, bieten dagegen die Geschichte
eines Heiligen, der verehrt, der angerufen wer-
den soll.
„Manche Züge und Umstände klarer hervor-
treten lassen und weiter entwickeln, unwesent-
liche Züge nach eigener Erfindung hinzufügen,
das steht den religiösen Künsten ohne Zweifel
frei; nur müssen alle Züge und Umstände dieser
Art mit dem gesammten Inhalt der Offenbarung
oder der historischen Thatsachen im vollen Ein-
klang stehen." (Vergl. Jungmann »Aesthetik«
3. Aufl. II. 103.) Aber wenn Jemand eine Legende
als unwahr, wenn er ihre Hauptperson als Ge-
bilde der Sage ansieht, kann derselbe diese
Person nicht als Heilige verehren, ihre Geschichte
nicht als Heiligenlegende in der Kirche malen
lassen; es sei denn, dafs sie nur zur Illustration
diene. Solange indessen eine Legende im Bre-
vier der Kirche oder Diözese steht, solange ein
Heiliger in liturgischen Büchern anerkannt ist,
kann Jemand ihn und seine Thaten so darstellen,
wie sie dort geschildert sind: denn die Ent-
scheidung über die Heiligenverehrung liegt in
der Hand der kirchlichen Obrigkeit. Hat sich
diese kirchliche Obrigkeit über eine Legende
nicht ausgesprochen, ist diese Legende in be-
stimmter Form nur von einer oder der andern
Kirche festgehalten, so wird man doch wohl
gut thun, dem Volk nicht in neuen Bildern
das vorzuführen, was kirchlich gesinnte Männer
z. B. Mabillon und die Bollandisten in ihren
grofsen Werken über die Heiligen als unrichtig
erklären.
1893. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.
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und Bischöfen, welche dieselben nie trugen, nur
an deren Stellung in der Hierarchie erinnern,
und wohl auch bei jenen beizubehalten sind,
welche solche Insignien noch nicht kannten, so
mag auch die Kardinalstracht des hl.Hieronymus
an sein Verhältnifs zum Papste Damasus erinnern.
Jene Kleidungsstücke sind wie die Schlüssel,
deren man den Apostelfürsten nicht berauben
wird. Vermag Jemand, der im gothischen Stil
arbeiten soll, die griechischen Heiligen in ihrer
Tracht darzustellen, so wird er seinen Werken
Wechsel und damit neuen Reiz verleihen. Kann
er es nicht, ohne aus der Form zu fallen, so
werden wir lieber auf Richtigkeit der Tracht
als auf Stilreinheit verzichten. Das Wesentliche
bleibt doch zuletzt immer, dem Volke zu zeigen,
wer dargestellt sei, seine Stellung im kirchlichen
Organismus und in der Reihe der Heiligen aus-
zudrücken.
Eine der wichtigsten Fragen, zu denen unser
Thema hindrängt, bleibt immer die: „Darf
man auch noch jene Legenden schil-
dern, deren Unrichtigkeit wissenschaft-
lich feststeht." Ayala's These (a. a. O. p. 25]
trifft wohl das Richtige. Sie lautete ungefähr so:
„Religiöse Bilder anzufertigen, welche irgend
einen offenbaren Irrthum enthalten (der indessen
weder den Lehren des Glaubens noch den Ge-
setzen der Sittlichkeit widerspricht und die Leute
nicht ärgert), verbietet die Vernunft und die
Klugheit. Bereits vorhandene Bilder kann
man aber trotz solcher Irrung an ihrem Platze
lassen." Aehnlich äufsert sich Molanus (1. c.
lib. II. c. 28 sq.)
Schon das Konzil von Trient hat im We-
sentlichen dasselbe verordnet: „Bilder, welche
der Glaubenslehre widersprechen und den Un-
gebildeten Gelegenheit zu gefährlichem Irrthum
bieten, sollen nicht aufgestellt werden." Fried-
rich Borromäus behandelte in seiner Mailänder
Diözese die Sache eingehender und stellte den
Grundsatz auf: „Es soll nichts gemalt und ge-
bildet werden, was der Wahrheit der Schrift,
der Ueberlieferung oder der Kirchengeschichte
widerstrebt, damit nicht dasjenige dem Volke
im Bilde vorgestellt werde, was es in Büchern
nicht lesen soll. Auch Erzählungen, für welche
weder das Ansehen der Kirche (in den litur-
gischen Büchern u. s. w.), noch dasjenige be-
währter Schriftsteller eintritt, wofür im Gegen-
theil nur die grundlose Ansicht des Volkes Bürg-
schaft leistet, dürfen nicht gemalt werden." Vgl.
lakob, »Die Kunst im Dienste der Kirche«,
4. Aufl. S. 109 ff.)
Theoretisch mufs sein Satz allgemeinen Bei-
fall finden. Praktisch wird jedoch in den mei-
sten Fällen nicht leicht eine Einigung über das
Vorhandensein oder den Grad des Irrthums zu
erlangen sein. Die einen werden mit mehr
Liebe an alten Legenden hangen als die andern;
einige etwas als historisch wahr noch festhalten,
was kritischer angelegte Leute verwerfen. Man
kann aber jedenfalls die durch die christliche
Kunst darzustellenden Legenden nicht mit an-
dern poetischen Erzeugnissen auf gleiche Stufe
stellen. Mögen Odysseus oder Aeneas oder Sieg-
fried oderGudrun keine historischenPersonen sein,
ändert das viel am Werthe der sie verherrlichen-
den Dichterwerke? Die Legenden, welche in der
kirchlichen Kunst und in den Gotteshäusern
geschildert werden, und nur diese berücksich-
tigen wir hier, bieten dagegen die Geschichte
eines Heiligen, der verehrt, der angerufen wer-
den soll.
„Manche Züge und Umstände klarer hervor-
treten lassen und weiter entwickeln, unwesent-
liche Züge nach eigener Erfindung hinzufügen,
das steht den religiösen Künsten ohne Zweifel
frei; nur müssen alle Züge und Umstände dieser
Art mit dem gesammten Inhalt der Offenbarung
oder der historischen Thatsachen im vollen Ein-
klang stehen." (Vergl. Jungmann »Aesthetik«
3. Aufl. II. 103.) Aber wenn Jemand eine Legende
als unwahr, wenn er ihre Hauptperson als Ge-
bilde der Sage ansieht, kann derselbe diese
Person nicht als Heilige verehren, ihre Geschichte
nicht als Heiligenlegende in der Kirche malen
lassen; es sei denn, dafs sie nur zur Illustration
diene. Solange indessen eine Legende im Bre-
vier der Kirche oder Diözese steht, solange ein
Heiliger in liturgischen Büchern anerkannt ist,
kann Jemand ihn und seine Thaten so darstellen,
wie sie dort geschildert sind: denn die Ent-
scheidung über die Heiligenverehrung liegt in
der Hand der kirchlichen Obrigkeit. Hat sich
diese kirchliche Obrigkeit über eine Legende
nicht ausgesprochen, ist diese Legende in be-
stimmter Form nur von einer oder der andern
Kirche festgehalten, so wird man doch wohl
gut thun, dem Volk nicht in neuen Bildern
das vorzuführen, was kirchlich gesinnte Männer
z. B. Mabillon und die Bollandisten in ihren
grofsen Werken über die Heiligen als unrichtig
erklären.