273
1893.
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 0.
274
Stellung entsprechen sollten. Sie leiten über zu
der grofsen Reihe neuerer Mosaiken. Von Tizian,
Sansovino, Pordenone,Tintoretto, Palma Vecchio
und andern grofsen Malern entworfen, unter
deren Leitung von geschickten Mosaikmeistern
ausgeführt, huldigen letztere der malerischen
Richtung. Glücklicherweise herrschen im Innern
der Kirche die altern Mosaiken sowohl durch ihre
Zahl, als auch dadurch, dafs sie die am meisten
in's Auge fallenden Stellen einnehmen. So be-
stimmen sie den Gesammteindruck und wahren
dem ehrwürdigen Bau seinen alten Charakter.
Grofs ist der Eindruck, den das Innere macht.
Fünf gewaltige Kuppeln, von denen zwei 12,50 m,
die drei andern 10,50 m im Durchmesser haben,
ziehen den Blick empor. Jede hat nahe am
Rande sechzehn Fenster. Zu diesen achtzig oben
in den Kuppeln befindlichen Fenstern kommen
siebenunddreifsig andere gröfsere und kleinere.
Von allen Seiten strömt an hellen Tagen durch
Oeftnungen, die alles in allem 210 cbm um-
fassen, das Licht ein. Ueberall wird es vom
Goldgrund aufgenommen, aber auf die ver-
schiedenartigste Weise zurückgeworfen von den
farbigen Figuren und von den kostbarsten
Marmorarten. Hier trifft es die sphärischen
Kuppeln, dort eines" der elf grofsen Tonnen-
gewölbe, worauf sie ruhen; hier spiegelt es sich
in den gerade aufsteigenden Abschlufswänden,
dort verliert es sich in einem der sechs kleinen
und schattigen Kuppelräume der Pfeiler. Ueber-
all stehen grofse Figuren und reiche Szenen,
aber nie wird der Blick ermüdet; denn nirgend-
wo herrscht mehr Wechsel und Verschiedenheit
als hier. Und doch entsteht keine Verwirrung,
kein buntes Allerlei. Der gleiche Goldgrund, die
gleiche Technik, eine glückliche Harmonie der
Farben verbindet Arbeiten von sieben oder acht,
ja, wenn wir die Marmorarbeiten hinzurechnen,
wohl von zwölf oder dreizehn Jahrhunderten zu
einem grofsartigen Gesammteindruck. Ueberall
findet man das kostbarste Material, überall aus-
gesuchte Kunstwerke und Reste des Alterthums,
nirgendwo kleinliches Haschen nach Effekt, aller-
orts die Spuren der alten Gröfse der Herzöge von
Venedig, welche hier ihre besten Schätze und
stolzesten Trophäen hergaben zur Zierde ihres
Gotteshauses.
Nicht ohne Bedenken gehe ich an die Be-
schreibung und Würdigung dieser Werke. Nicht
nur ihre Zahl, steigt sie doch auf 200 Szenen
und Figuren, auch ihr Zustand erschwert das
Urtheil und die Beschreibung. Wie wieder-
holte Restaurationen das Alte verändert haben,
beweisen die Inschriften. Beispielsweise hat man
im nördlichen Querschiff bei der Heimsuchung
MARIA in ANNA verändert. Oben ist in einer
kleinen Kuppel neben dem Mittelschiff aus
REGINA AVSTRI eine REGINA SVSRI ge-
worden; im nördlichen Querschiff hat der Re-
staurator aus BASILISSA EI(us) UX(or) ge-
macht BASILISSA SAEVIX; O Ari(og) rA-
BPl(H)A ist verwandelt in O API TA PPIA.
Diese Schwierigkeiten sind um so gröfser
weil bis jetzt der Stil und die Zeit der alten
Mosaiken des Innern noch nie eingehend be-
handelt worden sind. Zu den zahlreichen, die
Mosaiken enthaltenden Tafeln des Werkes von
Ongania fehlt der Text. Es ist keine Aussicht,
dafs er bald erscheine. Die Tafeln selbst sind zu
stilistischen und chronologischen Bestimmungen
wenig geeignet. Pasini, der beste Kenner der
Mosaiken, gibt in seinem werthvollen Buche nur
kurz den Inhalt der einzelnen Mosaiken und
ihre Inschriften. Niemand hat letztere besser
behandelt als er. Aber, nachdem ich mit seinem
Buche alle nachgeprüft habe, kann ich nur sagen,
dafs wenige alte Inschriften in meinem Exemplar
ohne Korrektur geblieben sind. Eine Datirung
versucht er selten, und diese seltenen Angaben
sind, wie sich in der Folge zeigen wird, un-
haltbar.
Dazu kommt noch, dafs die Untersuchung an
Ort und Stelle nicht leicht ist. Während des
Gottesdienstes mufs man sich im Studium wegen
der Andächtigen einschränken und Störung ver-
meiden. Dadurch geht viel von der Zeit ver-
loren, in denen die Mosaiken die richtige Be-
leuchtung haben. Selbst die grofsen Figuren
der Kuppeln sind auch mit bewaffnetem Auge
nur dann genau zu erkennen, wenn das Licht
weder zu schwach noch wegen der auf den Gold-
grund auffallenden Sonnenstrahlen zu grell ist.
Oft habe ich den einen Theil einer Kuppel nur
am Morgen, den andern nur am Nachmittage
genügend unterscheiden können. Manche Einzel-
heiten waren trotz aller Bemühungen nicht fest-
zustellen. So sehr diese Schwierigkeiten und
Hemmnisse zur Vorsicht mahnen, mufs man doch
einmal an die Sache herantreten. Geschieht dies
hier, so darf dieser bescheidene Versuch eben-
sowohl auf gute Aufnahme als auf Nachsicht
rechnen. (Schlufs folgt.)
Exaeten. Steph. Beisse], S. J.
1893.
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 0.
274
Stellung entsprechen sollten. Sie leiten über zu
der grofsen Reihe neuerer Mosaiken. Von Tizian,
Sansovino, Pordenone,Tintoretto, Palma Vecchio
und andern grofsen Malern entworfen, unter
deren Leitung von geschickten Mosaikmeistern
ausgeführt, huldigen letztere der malerischen
Richtung. Glücklicherweise herrschen im Innern
der Kirche die altern Mosaiken sowohl durch ihre
Zahl, als auch dadurch, dafs sie die am meisten
in's Auge fallenden Stellen einnehmen. So be-
stimmen sie den Gesammteindruck und wahren
dem ehrwürdigen Bau seinen alten Charakter.
Grofs ist der Eindruck, den das Innere macht.
Fünf gewaltige Kuppeln, von denen zwei 12,50 m,
die drei andern 10,50 m im Durchmesser haben,
ziehen den Blick empor. Jede hat nahe am
Rande sechzehn Fenster. Zu diesen achtzig oben
in den Kuppeln befindlichen Fenstern kommen
siebenunddreifsig andere gröfsere und kleinere.
Von allen Seiten strömt an hellen Tagen durch
Oeftnungen, die alles in allem 210 cbm um-
fassen, das Licht ein. Ueberall wird es vom
Goldgrund aufgenommen, aber auf die ver-
schiedenartigste Weise zurückgeworfen von den
farbigen Figuren und von den kostbarsten
Marmorarten. Hier trifft es die sphärischen
Kuppeln, dort eines" der elf grofsen Tonnen-
gewölbe, worauf sie ruhen; hier spiegelt es sich
in den gerade aufsteigenden Abschlufswänden,
dort verliert es sich in einem der sechs kleinen
und schattigen Kuppelräume der Pfeiler. Ueber-
all stehen grofse Figuren und reiche Szenen,
aber nie wird der Blick ermüdet; denn nirgend-
wo herrscht mehr Wechsel und Verschiedenheit
als hier. Und doch entsteht keine Verwirrung,
kein buntes Allerlei. Der gleiche Goldgrund, die
gleiche Technik, eine glückliche Harmonie der
Farben verbindet Arbeiten von sieben oder acht,
ja, wenn wir die Marmorarbeiten hinzurechnen,
wohl von zwölf oder dreizehn Jahrhunderten zu
einem grofsartigen Gesammteindruck. Ueberall
findet man das kostbarste Material, überall aus-
gesuchte Kunstwerke und Reste des Alterthums,
nirgendwo kleinliches Haschen nach Effekt, aller-
orts die Spuren der alten Gröfse der Herzöge von
Venedig, welche hier ihre besten Schätze und
stolzesten Trophäen hergaben zur Zierde ihres
Gotteshauses.
Nicht ohne Bedenken gehe ich an die Be-
schreibung und Würdigung dieser Werke. Nicht
nur ihre Zahl, steigt sie doch auf 200 Szenen
und Figuren, auch ihr Zustand erschwert das
Urtheil und die Beschreibung. Wie wieder-
holte Restaurationen das Alte verändert haben,
beweisen die Inschriften. Beispielsweise hat man
im nördlichen Querschiff bei der Heimsuchung
MARIA in ANNA verändert. Oben ist in einer
kleinen Kuppel neben dem Mittelschiff aus
REGINA AVSTRI eine REGINA SVSRI ge-
worden; im nördlichen Querschiff hat der Re-
staurator aus BASILISSA EI(us) UX(or) ge-
macht BASILISSA SAEVIX; O Ari(og) rA-
BPl(H)A ist verwandelt in O API TA PPIA.
Diese Schwierigkeiten sind um so gröfser
weil bis jetzt der Stil und die Zeit der alten
Mosaiken des Innern noch nie eingehend be-
handelt worden sind. Zu den zahlreichen, die
Mosaiken enthaltenden Tafeln des Werkes von
Ongania fehlt der Text. Es ist keine Aussicht,
dafs er bald erscheine. Die Tafeln selbst sind zu
stilistischen und chronologischen Bestimmungen
wenig geeignet. Pasini, der beste Kenner der
Mosaiken, gibt in seinem werthvollen Buche nur
kurz den Inhalt der einzelnen Mosaiken und
ihre Inschriften. Niemand hat letztere besser
behandelt als er. Aber, nachdem ich mit seinem
Buche alle nachgeprüft habe, kann ich nur sagen,
dafs wenige alte Inschriften in meinem Exemplar
ohne Korrektur geblieben sind. Eine Datirung
versucht er selten, und diese seltenen Angaben
sind, wie sich in der Folge zeigen wird, un-
haltbar.
Dazu kommt noch, dafs die Untersuchung an
Ort und Stelle nicht leicht ist. Während des
Gottesdienstes mufs man sich im Studium wegen
der Andächtigen einschränken und Störung ver-
meiden. Dadurch geht viel von der Zeit ver-
loren, in denen die Mosaiken die richtige Be-
leuchtung haben. Selbst die grofsen Figuren
der Kuppeln sind auch mit bewaffnetem Auge
nur dann genau zu erkennen, wenn das Licht
weder zu schwach noch wegen der auf den Gold-
grund auffallenden Sonnenstrahlen zu grell ist.
Oft habe ich den einen Theil einer Kuppel nur
am Morgen, den andern nur am Nachmittage
genügend unterscheiden können. Manche Einzel-
heiten waren trotz aller Bemühungen nicht fest-
zustellen. So sehr diese Schwierigkeiten und
Hemmnisse zur Vorsicht mahnen, mufs man doch
einmal an die Sache herantreten. Geschieht dies
hier, so darf dieser bescheidene Versuch eben-
sowohl auf gute Aufnahme als auf Nachsicht
rechnen. (Schlufs folgt.)
Exaeten. Steph. Beisse], S. J.