Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für christliche Kunst — 6.1893

DOI Heft:
Heft 9
DOI Artikel:
Beissel, Stephan: Die mittelalterlichen Mosaiken von S. Marco zu Venedig, [2]
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.4305#0154

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
271

1893. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 9.

272

IV. Die Mosaiken der Kapelle des hl.Zeno,

des hl. Isidor und dei mascoli.

1. Die Kapelle „Zeno" ist westlich vor der

letzten, mit einem Tonnengewölbe versehenen

Abtheilung der Tauf kapelle erbaut und mit ihr

durch eine Thüre verbunden. In ihrer nach

Norden gerichteten Apsis steht die Mutter Gottes

mit ihrem Kinde zwischen zwei eine Scheibe und

einen Stab tragenden Engeln. Die Inschrift lautet:

Humani generis casus ftut os mulier is:

Digna Dei gcnetrix mundi fuit ista redemptrix

Diese Worte verbinden dieses Bild mit den
Mosaiken der dicht daneben befindlichen I. Kup-
pel der Vorhalle, worin der Sündenfall geschil-
dert ist.

Die Mosaiken des Tonnengewölbes der
Kapelle stehen in der engsten Beziehung zu den
vier alten Mosaiken des Unterbaues der Fagade.
War in letztern, wie erwähnt, die Uebertragung
der Reliquien des hl. Marcus aus Alexandrien
nach Venedig geschildert, so findet man in jenem
Tonnengewölbe zwölf Szenen aus dem Leben
dieses Schutzheiligen der Stadt. Sie stimmen,
soweit sich aus Bellini's Bild ersehen läfst, im
Stil mit den drei verlornen der Fagade überein,
dürften also, wie schon Tikkanen (S. 95 f.) ver-
muthete, mit ihnen fast gleichzeitig, vielleicht
sogar vor ihnen, entstanden sein, d. h. in der
ersten Hälfte des XIII. Jahrh. Ihre Inschriften
sind nicht in Versen abgefasst. So lautet, um
eine Probe zu geben, die erste: + Sa?ictus
Marcus rogatus a fratribus scri(p)sit Evan-
gelium. Das klingt wie die aus Schrifttexten
bestehenden Inschriften der Vorhalle. Das E der
Inschriften ist theils eckig, theils rund, das G
spiralförmig, die beiden inneren Striche des
eckigen M gehen nur bis zur Mitte hinab.

Die neun Nischen, womit in der Kapelle
Zeno die unter dem Marienbilde befindliche
Wand der Apsis verziert ist, enthalten abwech-
selnd fünf Figuren in Mosaik und vier in Marmor.
Diese Anlage, sowie die Mosaiken erinnern auf
den ersten Blick an die grofse Portalnische in
der Mitte der westlichen Vorhalle und an ihre
Ausstattung.

2. Der Taufkapelle schräg gegenüber ist am
Ende des nördlichen Kreuzarmes die Kapelle
des hl. Isidor erbaut. Ihr Tonnengewölbe ent-
hält in vier Reihen die Geschichte des Lebens
und der Uebertragung der Reliquien des Patrons
nach Venedig. Die Buchstaben ihrer Inschriften
stimmen ebensowohl überein mit denen der

Taufkapelle als mit denjenigen einer in der
Isidorkapelle befindlichen, 1355 verfertigten In-
schrift. (Ueber die Reliquien des Titelheiligen
und die Errichtung seiner Kapelle vergl. Pasini
p. 215). Manche Einzelheiten der Mosaiken er-
innern an jene der Tauf kapelle, aber die Künstler
haben hier die Kartons selbst erfinden müssen.
Die Geschichte der Uebertragung zwang sie
sogar, venezianische Trachten des XIV. Jahrh.
zu geben. (Vergl. Saccardo »La capella di S.
Isidoro« p. 19.) So ist alles freier und natura-
listischer geworden als dort, wo man sich so
sklavisch an alte, auch im Malerbuch vom Berge
Athos beschriebene Vorbilder hielt. Die Falten
der Kleider sind durch schwarze Striche an-
gezeigt, die Modellirungen noch schwach, die
Architekturen trocken und schwer. In den dun-
keln Farben herrscht Grün vor.

Und doch tritt auch hier wiederum der
byzantinische Einflufs hervor; denn auf den
beiden Wänden unter den Bogen der Tonnen
sieht man die griechisch segnende Christusfigur
mit der Inschrift IC — XP zwischen Isidor und
Marcus und ihr gegenüber die Gottesmutter mit
der Inschrift MH(TH)P 0(EOjY. Die In-
schriften sind in Prosa gegeben und zwar nicht
nach einer bestimmten Formel. So heifst es:
Hie Sanctus Ysidor recedil de Alexand?-ia. ■—i
S.Ysidor baptizat. i—i Qualiter Anumerianus
sentenciavit Sanctum Ysidorum. i—i Decolacio
S. Ysidori. <—i + Cerebanus a Duce reprehenditur
u. s. w. Eine solche Regellosigkeit kommt in
altem Arbeiten kaum vor.

Da die Kapelle laut ihrer eben erwähnten
Inschrift bereits unter Doge Dandolo (f 1354)
begonnen und 1355 vollendet ward, sind ihre
Mosaiken wohl unmittelbar nach Vollendung der-
jenigen der Taufkapelle entstanden, also etwa
100 Jahre jünger als jene der Kapelle Zeno und
die altern der Facade.

3. Neben der Isidorkapelle liegt nach Westen
hin die Marienkapelle dei mascoli. Ihren
Namen verdankt sie der im XIII. Jahrb. ge-
stifteten Bruderschaft, welche bis 1476 nur aus
Männern bestand. Ihre am Ende des XV. Jahrh.
(ca. 1490) von Michael Zambono angefertigten
Mosaiken mischen schon Renaissancearchitek-
turen mit gothischen Figuren und Einzelheiten.
Sie sind schön und kunstreich, aber doch weit
mehr in Glasstiften ausgeführte Gemälde, als
Wandbekleidungen, die auch durch ernstere und
architektonischere Haltung ihrem Stoff und ihrer
 
Annotationen