357
1893.
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST
Nr. 12.
358
tat, vergoklet, zwischen zwei vergoldeten Säulen,
daneben in Nischen auf der Epistelseite die
lebensgrofse Statue des hl. Paulus, auf der
Evangelienseite die des hl. Petrus. Das zweite
Stockwerk enthielt das Bild der Himmelfahrt
Maria, zu beiden Seiten in ovalen Rahmen
kleinere Bilder der hl. Katharina und Magda-
lena, der Patrone der Kirche, auf Holz gemalt.
Den oberen Abschlufs bildete eine Statue des
hl. Andreas in ovalem Rahmen mit vergoldetem
Hintergrund,
hoch oben als
Schlufskrönung
die Statue des
auferstandenen
Heilandes. Rings
um den ganzen
Altar sind über-
einander in klei-
neren Figuren
die übrigen zehn
Apostel gruppirt
[gradatim et pro -
portionate collo-
cati). Eine alte
Tradition weifs
zu berichten, dafs
dieBraunsberger,
als sie den jetzi-
gen Hochaltar
errichteten, das
alte Altarwerk
an die Kirche
zu Neuteich ver-
kauften. Und die
nach den Brauns-
berger Akten ge-
gebene Beschrei-
bung und eine
Vergleichung
mit dem Neuteicher Altare (vergl. die Abbildung)
bringt die volle Bestätigung. Alles stimmt wohl
überein, nur ist an Stelle der Himmelfahrt Maria
das Bild des hl. Matthäus gekommen, was sich
sehr einfach daraus erklärt, dafs dieser Apostel
der Hauptpatron der Kirche von Neuteich ist. 'Wie
die nach einer Aufmessung (Maafsstab 1: 100)
und Handzeichnung angefertigte Skizze schon
deutlich erkennen läfst, ist der Altar eine außer-
ordentlich gute Renaissancearbeit, schön in den
Verhältnissen und, was die Skizze freilich nicht
zum klaren Ausdruck bringen kann, tüchtig
auch in dem ornamentalen und figürlichen
Schnitzwerk. Die Neuteicher können sich dieses
Werkes freuen. Aber was mag denn die
Braunsberger bewogen haben, im Jahr 1754
den Gedanken und Entschlufs zu fassen, den
nach unserer Ansicht guten Altar wegzugeben
und durch einen anderen, ungleich schlechteren
zu ersetzen? Gewifs nur die Ueberzeugung,
dafs das alte Werk nicht gut sei, weil es nicht
den Anforderungen der neuen Geschmacksrich-
tung entspreche,
und nach be-
kannten Mustern
ein neues ge-
schaffen werden
müsse. Der
Taumel des ex-
travaganten Ro-
kokostiles war im
Abnehmen; die
LustamBizarren,
Exzentrischen,
Sinnlosen— das
ist der Charakter
des eigentlichen
Rokoko — hatte
sich in etwa ver-
loren und war
einer Vorliebe für
das zwar immer
nochGrofsartige,
aber mehr Ein-
fache, Schlichte,
richtiger das
Nüchterne und
Wässerige, ge-
wichen. Vordem
Golde und den
frischen Farben
bevorzugte man
das Weifs, Grau, Blaugrau; der reiche bildnerische
Schmuck mufste zu Gunsten weniger Riesenfiguren
weichen; öde Flächen starren uns an. Dabei trägt
der neue Stil immer noch mancherlei Spuren der
alten Geschmacksrichtung, der er sich entringen
wollte, an sich. So liefsen die Braunsberger
denn nun ein kolossales Bild malen und gaben
ihm eine Umrahmung von je zwei riesigen,
aus Brettern gezimmerten Säulen mit einigen
Pilastern, oben mit Gebälk verkröpft, auf
welchem Engel theatralisch lagern — echte
Muster der Rokokoplastik. Darüber in einem
1893.
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST
Nr. 12.
358
tat, vergoklet, zwischen zwei vergoldeten Säulen,
daneben in Nischen auf der Epistelseite die
lebensgrofse Statue des hl. Paulus, auf der
Evangelienseite die des hl. Petrus. Das zweite
Stockwerk enthielt das Bild der Himmelfahrt
Maria, zu beiden Seiten in ovalen Rahmen
kleinere Bilder der hl. Katharina und Magda-
lena, der Patrone der Kirche, auf Holz gemalt.
Den oberen Abschlufs bildete eine Statue des
hl. Andreas in ovalem Rahmen mit vergoldetem
Hintergrund,
hoch oben als
Schlufskrönung
die Statue des
auferstandenen
Heilandes. Rings
um den ganzen
Altar sind über-
einander in klei-
neren Figuren
die übrigen zehn
Apostel gruppirt
[gradatim et pro -
portionate collo-
cati). Eine alte
Tradition weifs
zu berichten, dafs
dieBraunsberger,
als sie den jetzi-
gen Hochaltar
errichteten, das
alte Altarwerk
an die Kirche
zu Neuteich ver-
kauften. Und die
nach den Brauns-
berger Akten ge-
gebene Beschrei-
bung und eine
Vergleichung
mit dem Neuteicher Altare (vergl. die Abbildung)
bringt die volle Bestätigung. Alles stimmt wohl
überein, nur ist an Stelle der Himmelfahrt Maria
das Bild des hl. Matthäus gekommen, was sich
sehr einfach daraus erklärt, dafs dieser Apostel
der Hauptpatron der Kirche von Neuteich ist. 'Wie
die nach einer Aufmessung (Maafsstab 1: 100)
und Handzeichnung angefertigte Skizze schon
deutlich erkennen läfst, ist der Altar eine außer-
ordentlich gute Renaissancearbeit, schön in den
Verhältnissen und, was die Skizze freilich nicht
zum klaren Ausdruck bringen kann, tüchtig
auch in dem ornamentalen und figürlichen
Schnitzwerk. Die Neuteicher können sich dieses
Werkes freuen. Aber was mag denn die
Braunsberger bewogen haben, im Jahr 1754
den Gedanken und Entschlufs zu fassen, den
nach unserer Ansicht guten Altar wegzugeben
und durch einen anderen, ungleich schlechteren
zu ersetzen? Gewifs nur die Ueberzeugung,
dafs das alte Werk nicht gut sei, weil es nicht
den Anforderungen der neuen Geschmacksrich-
tung entspreche,
und nach be-
kannten Mustern
ein neues ge-
schaffen werden
müsse. Der
Taumel des ex-
travaganten Ro-
kokostiles war im
Abnehmen; die
LustamBizarren,
Exzentrischen,
Sinnlosen— das
ist der Charakter
des eigentlichen
Rokoko — hatte
sich in etwa ver-
loren und war
einer Vorliebe für
das zwar immer
nochGrofsartige,
aber mehr Ein-
fache, Schlichte,
richtiger das
Nüchterne und
Wässerige, ge-
wichen. Vordem
Golde und den
frischen Farben
bevorzugte man
das Weifs, Grau, Blaugrau; der reiche bildnerische
Schmuck mufste zu Gunsten weniger Riesenfiguren
weichen; öde Flächen starren uns an. Dabei trägt
der neue Stil immer noch mancherlei Spuren der
alten Geschmacksrichtung, der er sich entringen
wollte, an sich. So liefsen die Braunsberger
denn nun ein kolossales Bild malen und gaben
ihm eine Umrahmung von je zwei riesigen,
aus Brettern gezimmerten Säulen mit einigen
Pilastern, oben mit Gebälk verkröpft, auf
welchem Engel theatralisch lagern — echte
Muster der Rokokoplastik. Darüber in einem