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Zeitschrift für christliche Kunst — 7.1894

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Effmann, Wilhelm: Glocken der Marienkirche zu Rostock, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3824#0058

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81

1894. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 3.

82

Glocken der Marienkirche zu Rostock.
I.

Mit 2 Abbildungen.

eberaus selten ist die Verzierungs-
weise der Glocken, die darin be-
steht, dafs an denselben Reliefbilder
von solchen Gröfsenabmessungen
angebracht sind, wie dies bei den letzthin hier
von mir besprochenen Glocken aus Münster
und Lippstadt der Fall ist. Wollte man die
Glocken mit grofsen figürlichen Darstellungen
schmücken, zugleich aber alles fernhalten, was
den Ton ungünstig beeinflussen könnte, so griff
man zumeist zu der Methode, die Darstellung
in den Mantel der Form einzuritzen, so dafs die
Zeichnung auf der fertigen Glocke in einfacher
Liniencontur leicht erhaben hervortrat.1)

Zwei schöne Exemplare von Glocken, welche
diese Verzierungsart aufweisen, besitzt die
Marienkirche zu Rostock. Bei der gröfstenGlocke
sind es die figuralen Darstellungen, bei der zweit-
gröfsten, die eines besonderen bildnerischen
Schmuckes entbehrt, die den oberen Rand um-
gebenden Inschriften, welche in dieser Technik
hergestellt sind.

Die Marienkirche von Rostock, welche schon
1232 bestand, ist ihrem Hauptbestandtheile nach
ein Bau des XV. Jahrh. (1398—1472), nur die
westliche Thurmanlage wird in ihrem Unterbau
der ersten Hälfte des XIV. Jahrh. zugeschrieben.
Der letzteren Zeitperiode dürfte die zweitgenannte
Glocke angehören, die hier zunächst zur Be-
sprechung gebracht werden soll. Diese Glocke,
der behufs anderweitiger Aufhängung durch
Pfuscherhände leider die Krone abgeschlagen
worden ist, hat eine Höhe von 1,325 m, bei einem
unteren Durchmesser von 1,71 m. Ihr Gufs ist
von tadelloser Schönheit. Am oberen Rande trägt
sie in zwei Reihen eine Doppelinschrift, von denen
die obere in der kurzen, kräftigen Ausdrucks-
weise der alten Glockensprüche lautet: Consolcr
viva, fleo mortua, pello nociva (Fig. 1). Die untere
Reihe giebt den bekannten, Jahrhunderte hin-
durch mit besonderer Vorliebe angewandten
Spruch: O rex glorie veni cum pace (Fig. 2).

Die Inschrift enthält sich somit jeder An-
deutung über den Giefser oder die Zeit ihrer

') Vgl. Sp. 181 des VI. Jahrganges dieser Zeitschrift.

2) Siehe Schoenermark «Die Altersbestimmung
der Glocken«, Berlin (1889) S. 16 und Otte an der
unter Note 5 Sp. 87) angegebenen Stelle.

Entstehung. Für die angegebene Datirung spricht
aber der Umstand, dafs bei Glocken die Her-
stellung der Buchstaben durch Einritzen bis
über die Mitte des XIV. Jahrh. angedauert hat,
wo sie dann den Wachsmodellbuchstaben wei-
chen mufste.2) Die Buchstaben unserer Glocke
sind, wie die in 74 der natürlichen Gröfse aus-
geführten Abbildungen darthun, kräftige Majuskel-
buchstaben in vorherrschend uncialer Form.
Während in der Inschrift der unteren Reihe
jeder Buchstabe für sich, unabhängig von den
übrigen dasteht, greifen die Buchstaben der
oberen Reihe zum Theil so' innig ineinander,
dafs die Verzierungen zweier aneinander stofsen-
den Buchstaben mehrfach gemeinsam sind. Der
Hauptschmuck ist in die Innenfläche der Buch-
staben verlegt. Dieselben sind gefüllt und ver-
ziert mit einer in schöner Linienführung, in
palmetten- und fächerartigen Bildungen sich er-
gehenden Ornamentik, die stellenweise noch an
die romanische Stilepoche erinnert. Bei dem
Initial, wie er seit dem XIII. Jahrh. zur Entwick-
lung gelangte, um in dem XV. und XVI. Jahrh.
seine höchste künstlerische Ausbildung zu finden,
war der Initial nur der Träger der ornamentalen
oder figürlichen Musterung, die für sich selbst-
ständig zu wirken bestimmt war. Daneben
schuf sich die Verzierungslust noch eine Orna-
mentik, die rein kalligraphischer Art war, indem
einerseits die den Körper der Buchstaben ab-
schliefsenden Striche in Linien, Schnörkel, und
Fäden ausgezogen, andererseits der Körper des
Buchstabens mit solchen.Linien und Schnörkeln
begleitet wurde. Diese Art von Musterung, die
sich anfangs noch an die ältere Pflanzenorna-
mentik, später mehr an die mathematische Bil-
dung des gothischen Ornamentes anlehnte, war
schon zu Ende des XIII. Jahrh. voll ausgebildet.3)
Ihre Anwendung zeigen auch die Buchstaben
der Rostocker Glocke.

Es ist mir keine andere in der gleichen
Technik ausgeführte Glockeninschrift bekannt,
die in dem Reichthum der Ornamentation einen





3) Vgl. hierzu Janitschek »Geschichte der deut-
schen Malerei«, Berlin (1890), S. 107 f. u. 170, und be-
sonders die einschlägigen Erörterungen bei Lampr echt
• Initial-Ornamentik des VIII. bis XIII. Jahrh.«, Leipzig
(1882) S. 25.


 
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