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Zeitschrift für christliche Kunst — 7.1894

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Crull, Friedrich: Ein Wandgemälde aus der Kirche St. Jürgens zu Wismar
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https://doi.org/10.11588/diglit.3824#0115

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173

1894.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 6.

174

Ein Wandgemälde aus der Kirche St. Jürgens zu Wismar.

Mit Abbildung.

]|achdem man in der ersten Hälfte des
XIV. Jahrh. die Marienkirche in
Wismar vergröfsert und in basili-
kalischer Form fertiggestellt hatte,
zu gleichem Ende 1381 bezüglich St. Nicolai's
einleitende Schritte geschehen waren, wollte
auch die Gemeinde der dritten Pfarrkirche,
St. Jürgens, nicht zurückbleiben und wurde im
Jahre 1404 der Neubau mit der Fundamentirung
des Thurmes begonnen. Dieser erhielt Abseiten,
welche von den Seitenschiffen der Kirche, also von
Osten her, ihren Zugang haben und deren jedes
mit zwei Kreuzgewölben bedeckt ist. Die süd-
liche Abseite wurde 1448 von den Vorstehern
an das Amt (die Zunft) der Wollenweber ver-
kauft, wobei letzteres die Verpflichtung über-
nahm, die Kapelle in baulichem Stande zu
erhalten. Nun aber kam das ehemals blühende
Gewerk im Laufe des XVI. Jahrh. so herunter,
dafs die Armuth seiner Mitglieder sprichwörtlich
wurde und diese aufser Stande kamen, jener
Verpflichtung, insbesondere der Erhaltung der
drei grofsen Fenster (eins westwärts, zwei süd-
lich) nachzukommen, in Folge dessen das Amt
1644 auf sein Recht an der Kapelle verzichtete,
die von den Vorstehern dann, sicher noch vor
1700, als Materialienraum benutzt worden ist.
Wie die ganze Kirche war auch die Kapelle
seitdem getüncht worden. Unter der Tünche
war an der Thurmwand in der östlichen Travde
der Kapelle 1,90 m über dem Fufsboden ein
Rechteck von 1,95 m Breite und fast ebenso
hoch unter der Tünche sich markirend und
ohne dafs wie auf der übrigen Wand Fugen zu
bemerken waren, sichtbar. Es lag nahe,
unter der Tünche Malerei oder eine Inschrift
auf dieser Fläche zu vermuthen, und diese Ver-
muthung bestätigte sich, nachdem, wegen Dünn-
heit der Tünchschicht mit grofser Mühe, die
Fläche blofsgelegt war. Es zeigte sich nämlich
auf dem Putzgrunde vor einem mit vier kleinen
Fenstern versehenen Räume, dessen Decke
mehrere Reihen von ineinander geschobenen roth-
braunen und spangrünen Dreiecken bilden,
während die Wände und der Boden des Ge-
maches ungefärbt geblieben sind, unter einem
sehr mageren Gehänge von Flachbogen eine
Gruppe von Figuren. In der Mitte steht eine
Muttergottes mit dem Christkinde auf dem

rechten Arme, in der Linken einen Palmzweig
haltend, angethan mit einem grauen Gewände,
das mit Rothbraun konturirt ist, und einem
schwarz konturirten okergelben Mantel, welcher
etwas blasser gelb aufschlägt, in braunrothen
Schuhen; das Christkind in braunrothem Kleide
erhebt die linke Hand und streckt die rechte
vor. Während Maria etwas weniger nach links
hin gewendet, doch auch ihre Aufmerksamkeit
auf das heilige Kind richtet, ist dies völlig
links gewendet, von woher ihm eine gekrönte
Heilige in okergelbem Gewände mit grauem
und zwar wiederum braunroth konturirtem, hell
spangrün aufschlagendem Mantel, welche in der
Linken einen Palmzweig, an dem eine Rose
befestigt ist, trägt, ein Körbchen darbietend sich
naht. Der Inhalt des letzteren ist zwar nicht
zu erkennen, aber jedenfalls als Rosen und
Aepfel anzusprechen, da es nicht zweifelhaft
ist, dafs diese Heilige St. Dorothea sein soll.
An der rechten Seite der Madonna steht etwas
zurück eine andere gekrönte Heilige in braun-
rothem Gewände, mit einem spangrünen, gelb
aufschlagenden Mantel, welche gleichfalls einen
Palmzweig, und zwar in der Rechten trägt, und
in der Linken einen Kelch mit einer Hostie
darüber; es ist also die hl. Barbara.

Schatten und Licht sind nicht angegeben
und eine Modellirung durch Stricheln ist nur
an ein paar kleinen und untergeordneten Stellen
unternommen. Gesichter und Hände fanden
sich nur in Farbe angelegt, sind aber zweifel-
los nie ausgeführt gewesen. Da somit die
Hauptsache im Grunde fehlt, so habe ich lange
Bedenken getragen, das Bild zu veröffentlichen.
Wenn ich mich trotz jenes Mangels zur Mit-
theilung des Bildes entschlossen habe, so geschah
dies theils in der Erwägung, dafs von alter
Malerei im deutschen Norden, wenn man von
Lübeck absieht, sehr wenig bekannt ist und
von Wandgemälden, als deren Urheber doch
einheimische Maler anzunehmen sind, noch
weniger und am wenigsten aus dem XV. Jahrh.,
dem unser Bild ja zweifellos angehört, theils aber
auch in der Meinung, dafs dasselbe auch trotz
der mangelnden Vollendung der Mittheilung
werth sei, denn es scheint mir, dafs das, was
das Bild schildern soll, nicht einfacher, würdiger
und verständlicher ausgedrückt werden könne.
 
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