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Zeitschrift für christliche Kunst — 7.1894

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Tepe, Alfred: Ein kleiner Beitrag zur Nothkirchenfrage
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https://doi.org/10.11588/diglit.3824#0110

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163

1894.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 6.

164

Ein kleiner Beitrag zur Nothkirchenfrage.

Mit Abbildungen.

er verehrte Herausgeber dieser Zeit-
schrift hat schon vor längerer Zeit
diese Frage angeschnitten. Bedeu-
tende Männer haben seinem Rufe
Folge geleistet und ihm ihre Erfahrungen und
Ideen zur Verfügung gestellt. Zuerst der viel-
seitige, vielgewandte, mit Wort und Zeichenstift
gleich fertige VViethase (Bd. II, Sp. 373 ff.), dann
der in mehrfacher Beziehung noch nicht über-
troffene Veteran der mittelalterlichen Bauweise,
Vincenz Statz, der Erbauer des Linzer Domes,
(Bd. V, Sp. 165 ff.). Beide haben schätzens-
werthe Beiträge geliefert. Nun aber scheint ein
mehr allgemeiner Artikel erwünscht; eine gründ-
liche, allseitige Behandlung und Beleuchtung
der Nothkirchenfrage.

Es wären da die verschiedensten Verhält-
nisse zu berücksichtigen und entsprechende
Lösungen anzugeben: Sich ausbreitende Städte,
pilzartig wachsende Fabrikorte, verzwickte Raum-
und heikele Baupolizeifragen, Feuergefährlichkeit,
Stabilität, Schutz gegen Frost und Hitze, prak-
tische Einrichtung, spätere Benutznng des Lokals
oder Materials. Das Alles und noch viel mehr
fängt an, vor unseren Augen und in unserem
Hirn durcheinander, hintereinander sich umzu-
drehen, kaleidoskopartig!

„Wer wagt es, Rittersmann oder Knapp?"
„Graf verzeiht, wenn ich verzichte!"

Sollte es nicht am gerathensten sein, einen
schönen Katheder aufzustellen und einen ge-
lehrten Professor darauf zu setzen, welcher, an-
fangend bei Adam und Eva und beim jüngsten
Gericht aufhörend, alle dazwischen liegenden
Möglichkeiten in's Auge fafst und historisch,
theologisch, praktisch, theoretisch, idealistisch,
realistisch, objektiv, subjektiv bearbeitet? Wenn
auch eine solche allgemeine, gründliche Ab-
handlung die Caprice vieler Wörterbücher an sich
haben sollte, worin alle Wörter und Wörtchen
verzeichnet stehen, nur dasjenige nicht, welches
man gerade sucht — oder die Eigenschaft unserer
scharfsinnigen Gesetze, die immer auf alle Fälle
passen, nur nicht auf den vorliegenden; was
thut's, man hätte doch ein gelehrtes, respekt-
einflöfsendes Werk über den Gegenstand und
könnte es getrost nach Hause tragen.

Wir praktischen Architekten, gewohnt den
konkretesten Aufgaben gegenüberzustehen, unsere

Gedanken und Entwürfe nächstliegenden, ganz
bestimmten Lebensbedürfnissen anzupassen, ich
möchte sagen, wie die Leibschneider auf Maafs
zu arbeiten, wir werden gut thun, einer solchen
ungewohnten Aufgabe gegenüber unser Unge-
schick in aller Demuth und Bescheidenheit zu
erkennen. Freilich wir brauchen uns nicht
ganz ablehnend zu verhalten; wir können unsere
Gedanken, unser Gedächtnifs und unsere Mappen
durchstöbern, Erfahrungen und Erlebnisse auf
diesem Gebiet Revue passiren lassen; wir können
das eine oder andere uns passend Erscheinende
bereitwilligst zur Verfügung stellen — wir werden
eben wieder den Spuren unserer verehrten Vor-
gänger folgen müssen, indem wir Beiträge — nur
Beiträge liefern. In der Hoffnung, dafs der
vierte, fünfte, sechste etc. bald folgen wird, stelle
ich mich zunächst dem Leser als dritter im Bunde
vor, wenn auch nur mit einer winzigen Gabe.
„ Wie geeft, wat hy heeft, is waard, dal hy
leeftl" sagt ein holländisches Sprichwort.

Wohl habe ich viele Nothkirchen errichtet
— aber keine in die zu behandelnde Kategorie
gehörende — keine für längere Dauer und
spätere anderweitige Verwendung bestimmte. —
Sie hatten nur den Zweck, die Gemeinde während
der Zeit des Neubaues zu beherbergen. — Es
waren gemüthliche oder ungemüthliche Bretter-
buden, nothdürftig eingerichtete Bauernscheunen,
Tabaksmagazine in spe, miethweise der Ge-
meinde überlassen, Kunstwerke aus allen mög-
lichen Gebäuderesten zusammengesetzt, im Preise
schwankend zwischen 250 und 7000 Gulden.

Aber klein oder grofs, ärmlich oder behäbig,
roh oder elegant, meine Nothkirchen sind mir
immer lieb gewesen. — Was aus Brettern und
Pfosten eilig zusammengesetzt wird, regt die
Phantasie an; es bezeichnet ein Uebergangs-
stadium; der alltägliche Schlendrian wird unter-
brochen, die Morgenröthe einer schöneren Zu-
kunft scheint aufzusteigen. Ich habe Kinder
gekannt, die sich am behaglichsten fühlten,
wenn umgezogen wurde — zwischen aufgerollten
Teppichen, eingemummelten Stühlen und Tischen,
Koffern und Kisten von jeder Facon — ein
neues Leben beginnt. Enttäuschungen werden
nicht ausbleiben, aber der Mensch, nament-
lich der Kunstmensch, hat etwas Zigeunerhaftes
an sich; mit eigenem Interesse sieht er die
 
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