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Zeitschrift für christliche Kunst — 7.1894

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Wormstall, Albert: Gothischer Schrank vom Jahre 1425
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https://doi.org/10.11588/diglit.3824#0152

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231

1894.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 8.

232

Gothischer Schrank vom Jahre 1425.

Mit Abbildung.

m Privatbesitze zu Münster i. VV. be-
findet sich seit Kurzem der alte,
beachtenswertheSchrank, dessen Ab-
bildung wir hier beifügen. Eine
kurze Beschreibung möge zur Erläuterung dienen.
Der Schrank hat eine etwas gedrungene, pris-
matische Form; seine Höhe beträgt 143 cm,
seine Breite 76 cm, seine Tiefe 33 cm. Die in
Schnitzarbeit ausgeführten Verzierungen sind,
abgesehen von einem kleinen ornamentalen
Streifen oben an der linken Schmalseite, auf
die Vorderseite beschränkt. Diese gliedert sich
in zwei übereinander liegende Thüren, die oben
von einem Kopfstücke zu beiden Seiten von
ornamentalen Streifen eingerahmt werden. Das
Kopfstück, etwas breiter als der übrige Schrank,
enthält animalische Dekoration, nämlich vier stark
bewegte phantastische Thiere, von denen eins an
einem Ringe angebunden ist. Nach oben bildet
eine Zinnenverkrönung den Abschlufs, nach unten
eine Leiste mit der Relief inschrift: „datum domini
mccccxxv in vigilia purificationis". Symmetrisch
stilisirte Rebenranken mit Blättern und Trauben
und als Schlufs oben je ein Thier nehmen die seit-
lichen Streifen ein. In der Füllung der oberen Thür
ist die Verkündigung Maria dargestellt; der
Engel und Maria tragen je ein Spruchband mit
den Worten: „ave maria gratia pleno." und „tcce
ancilla domini". Zwei gothische Spitzbögen,
deren Dreipafs durch ein Weinblatt gefüllt ist,
bilden über der Szene eine Art Baldachin. Die
Zwickel der Bögen links und rechts sind durch
eine Rosette verziert; in dem mittleren erscheint
eine zu Maria hinabfliegende Taube, das Symbol
des hl. Geistes.. Die Füllung der unteren Thür
schmückt die thronende Gottesmutter, die eine
Krone trägt und das Jesuskind auf ihrem Schoofse
hält. Die Ränder des Thrones laufen in zwei
Lilien aus. Darüber spannen sich zwei flache
gothische Bögen, auf denen drei Engel ruhen;
der links spielt die Geige, der mittlere ein
Blasinstrument, der rechts eine Art Mandoline.
Unter den Bögen und sich diesen eng an-
schliefsend läuft ein Spruchband mit den Worten:
„grot sis du muri".

Die Erhaltung des aus Eichenholz gefertigten
Schrankes ist eine relativ gute zu nennen. Das
Material zeigt noch durchweg eine feste Kon-
sistenz. Der Zusammenhang der einzelnen Stücke

hat sich nur wenig gelockert und liefse sich
leicht wieder herstellen. Das Relief hat nur ein
geringes von seiner Höhe und Schärfe ein-
gebüfst. Leider ist das Schlofs der oberen Thür
sammt dem Holze ausgesägt; möglich, dafs es
von kunstvoller Arbeit oder sonst interessant
war und die Begierde eines rücksichtslosen
Händlers reizte.

Eine Eigenthümlichkeit des Schrankes ist
seine Bemalung, von der bedeutende Reste zu
Tage traten, als die dicke, weifse Tünche ent-
fernt wurde, welche die ganze Oberfläche be-
deckte. Die Blätter sind grün gehalten, die
Trauben schwärzlich, derGrund roth. Diegleichen
Farben sind für die figürlichen Reliefs verwandt
worden^. Es scheint diese Bemalung eine ur-
sprüngliche zu sein.

Der Schrank stammt aus der Gegend von
Hafsbergen im Osnabrück'schen und war im
Besitz eines Bauern, der sein Schuhwerk darin
aufbewahrte. Der bildliche Schmuck sowie auch
die Inschriften machen es sehr wahrscheinlich,
dafs sein erster Standort eine Kirche war. Die
Echtheit ist ganz zweifellos.

Noch einige Worte über Stil und Werth des
Schrankes. Der Stil der Thürfüllungen ist
gothisch; dagegen erinnern die Ornamente des
Kopfstückes und der Streifen noch an die roma-
nische Periode; das gilt besonders von den
Thieren. Solch' spätes Fortwirken romanischer
Elemente erklärt sich aus dem konservativen
Charakter der westfälischen Kunst. Auch muthet
die ganze Form des Schrankes mit derThurm-
zinnenkrone sehr alterthiimlich an.

Der Verfertiger des Schrankes ist kein
schlechter Meister gewesen; er hat mit einfachen
Ornamenten geschmackvoll zu arbeiten gewufst
und hat eine verständige Gliederung der Fläche
erzielt. Der figürliche Schmuck beweist eine gute
Hand und Sinn für Formen.

Was den Schrank besonders werthvoll macht,
ist die genaue Datirung: er ist am 1. Februar
1425, dem Vorabende von Maria Lichtmefs
aufgestellt. Gothische Möbel aus der ersten
Hälfte des XV. Jahrh. sind überhaupt nicht
häufig; mit Jahreszahl und Tag versehene
dürften aber zu den gröfsten Seltenheiten zu
rechnen sein.

Münster. Albert Wormstall.
 
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