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Zeitschrift für christliche Kunst — 7.1894

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Schnütgen, Alexander: Frühgothische Truhe in Wernigerode
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https://doi.org/10.11588/diglit.3824#0063

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91

1894.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 3.

92

Frühgothische Truhe in Wernigerode.

Mit Abbildung.

ie hier abgebildete Truhe, über
welche ich die näheren Angaben
der Güte des Herrn Bildhauers
y G. Kuntzsch verdanke, 1,30 m breit,
0,80 m hoch, 0,80 in tief, ist aus gespaltenem
Eichenholz in sehr primitivem Verbände gefertigt.
Die Seitenwände sind mit Feder in die Nuthe
der Vorder- und Rückwand eingefügt und mit
diesen auf den Ecken auch noch durch ver-
kröpfte Eisen zusammengebunden. Die Vorder-
seite besteht aus fünfTheilen: den beiden auf-

fassenden Gliedes gewinnen. — Die an diese
anstofsenden Zwickel sollen offenbar als Ver-
zierungen und Verstärkungen zu gleicher Zeit
dienen. — Die Seitentheile sind je durch sechs
Füllungen gegliedert, die noch eine sehr einfache,
fast plumpe Behandlung zeigen, wie sie diesen
Erstlingsversuchen eigen sind, in die Möbel-
konstruktion das neue Gesetz einzuführen, wel-
ches erst im XV. Jahrh. zum Durchbruch ge-
langt. — Der Deckel wird, nach Art der Fafs-
deckelbehandlung, durch Holzzapfen zusammen-

recht stehenden Pfosten und den drei horizontal
dazwischen gespannten und darin eingezapften
Mittelstücken. Sie verbinden sich zu einer
geraden, durch flachgeschnitztes Mafswerk gleich-
mäfsig verzierten, also nicht aus Rahmenwerk
und Füllung organisch gebildeten Fläche. Das
streng gezeichnete, flach geschnitzte Mafswerk,
welches sie belebt, füllt dieselbe vortrefflich
aus. Die unter dem Spitzgiebelfries herlaufende
Medaillonsborte dient jenem als fein empfun-
dene Basis, und dafs unter ihren Eckpaaren als
Stempelverzierungen die Spitzbogen sich wieder-
holen, wirkt vorzüglich, zugleich zur Markirung
der Eckpfosten, die dadurch den Charakter nicht
nur eines aufstrebenden, sondern auch eines ein-



gehalten, aber auch durch darübergelegte Eisen-
schienen. So vereinigt sich Alles, um dieses
Möbel als eine tüchtige Handwerksleistung er-
scheinen zu lassen, aber auch als ein Kunstpro-
dukt, denn der ganze Dekor ist nicht nur korrekt
entworfen, sondern auch harmonisch durch-
geführt und in einer dem Holzmaterial durchaus
entsprechenden Weise, so dafs es als muster-
gültiges Vorbild empfohlen zu werden verdient,
wenn es sich um die Verzierung eines früh-
gothischen Möbels handelt. — Der Frühzeit des
gothischen Stiles gehört nämlich diese Truhe an.
Darauf weisen mit Bestimmtheit alle Einzelheiten
hin. Das untere Zwickelblatt zeigt sogar noch
spätromanische Reminiscenzen. Sehn in gen.
 
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