Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für christliche Kunst — 7.1894

DOI Artikel:
Stiassny, Robert: Jörg Breu von Augsburg, [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3824#0073

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
103

1894. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

Nr. 4.

104

Erfindung der Musik. In einer tonnen-
gewölbten, von einer durch die Rahmen entzwei-
geschnittenen, korinthisirenden Mittelsäule ge-
stützten Renaissancehalle — die mit ihren kasset-
tirten Gurtbögen, Pilasterstellungen, bunten
Steininkrustationen, den vergoldeten Kapitellen,
Gesimsen, Verkröpfungen und auf diesen frei-
stehenden Bronzefigürchen einen prächtigen
Eindruck macht — sind auf Porphyrsäulen zwei
Marmortafeln angebracht. Auf die linksseitige
Tafel schreibt ein bärtiger Alter, der auf dem Flo-
rentiner Entwürfe am Gewandsaume „TVBAL"
bezeichnet ist, die sogenannte Solmisations-
tabelle: Ut Re Mi Fa Sol La. Tubal war die
mittelalterliche Schreibweise für Jubal, den
biblischen Erfinder der Saiten- und Blasinstru-
mente. Nach einer Erzählung des Flavius
Josephus soll er das Geheimnifs seiner Kunst,
damit sie den Untergang der Erde durch Feuer
und Wasser überdauere, auf drei Säulen aus
Stein und Backsteinen eingegraben der Nach-
welt hinterlassen haben. Die spätere Ueber-
lieferung schränkte die Zahl der Säulen auf
zwei ein und dieser hat sich der Maler, dem
die antike Sitte der Säuleninschriften natürlich
fremd geblieben, hier angeschlossen. — Die Sol-
misation war eine auf Guido von Arezzo (I. Hälfte
des XL Jahrh.) zurückgeführte und noch im
XVI. Jahrh. mit der Geltung eines Zunft-
zwanges geübte Gesangsunterrichtsmethode.
Sie beruhte auf der Bezeichnung der sechs
ersten Töne der Tonreihe durch die vorge-
nannten Anfangssilben der Verszeilen einer
angeblich von Guido komponirten und von
Paulus Diaconus verfafsten Hymne. Eine
weitere Gedächtnifshilfe des Systems war die
sogenannte Guidonische Hand, auf welcher
jedem der 19 Töne der Scala Guido's seine
Stelle auf einem der Fingergelenke angewiesen
war (vgl. A. W. Ambros, »Geschichte der Musik«
II, 144 ff.). Der Jubal gegenüberstehende Musiker,
der auf dem Gemälde andere Gesichtszüge
aufweist als auf der Zeichnung, bedient sich
eben dieses Schemas, um sich Namen und
Reihenfolge der Töne einzuprägen. Vor ihm
sitzt ein Jüngling neben einem am ersten als
Positiv zu erklärenden Instrumente, an dessen
Blasebalg er die Linke gelegt hat, während
seine Rechte auf der Klaviatur ruht. Auf dem
anderen Flügel ist eine Gruppe von vier lehren-
den und lernenden Männern um eine zweite
Solmisationstabelle versammelt, die ein Jüng-

ling mittels eines Stabes demonstrirt. An das
Morgenland, in dem der Vorgang spielt, wird
man nur durch den Turban eines sitzenden
Gelehrten und die hebräische Inschrift am
Mantelkragen einer Rückenfigur erinnert. Der
Maler zog also die Erfindung der Solmisation,
welcher das Mittelalter eine übertriebene Werth-
schätzung beilegte, und die Erfindung der Musik
in einen Akt zusammen und dachte sich den-
selben als eine Art „Disputa" Magister Jubais
und seiner Jünger, die er mit der gleichen
Unbefangenheit in die Augsburger Zeittracht
übersetzte. Der kirchlichen Bestimmung der
Tafeln trug er nur durch die in Wolken er-
scheinenden Halbfiguren Gottvaters und Marias
Rechnung, die auf der Handzeichnung der
Uffizien fehlen. Hingegen zeigt diese auf
ihrer linken Hälfte im Vordergrunde die in
das Gemälde nicht herübergenommene Gestalt
eines meditirenden Mannes, der, kleiner ge-
bildet als die übrigen Figuren, nur mit dem
Oberkörper sichtbar wird und auf einer Stufe
zu sitzen scheint.

Die Innenbilder der Flügel enthalten
zwei getrennte Darstellungen, die aber wieder
vom gemeinsamen architektonischen Rahmen
einer schmuckreichen, nach dem Hintergrunde
sich in's Freie öffnenden Bogenhalle um-
schlossen werden. Der rechte Flügel führt eine
Singschule vor, wie eine solche bei St. Anna
bestanden hatte (vgl. v. Stetten, Kunst-Ge-
werbe- und Handwerksgesch. d. Reichsstadt
Augsburg I, 524). Drei grössere und drei
kleinere Chorknaben stehen singend vor Noten-
pulten, hinter ihnen auf Stufen der Dirigent
(Praecentor) in einer Nische, zu den Seiten
die beiden Unterkantoren (Succentores), den
Takt angebend.

Im Giebelschmuck der Nische des Diri-
genten ist das erwähnte Schrifttäfelchen mit
der Jahreszahl 1512 angebracht. Das Bild auf
dem zweiten Flügel illustrirt die im Mittelalter
weitverbreitete Fabel von Pythagoras, der
in einer Schmiede vier Hämmer in verschie-
denen Tönen auf dem Ambos erklingen hörte
und durch Gewichtsbestimmung derselben die
Zahlenverhältnisse der Töne entdeckt haben
soll. Wir sehen den griechischen Philosophen
in deutscher Patriziertracht an einem Stein-
tische links sitzen, wie er, ein Notenblatt vor
sich, einen an einem Bindfaden aufgehängten
Hammer mit einem Stäbchen anschlägt, um
 
Annotationen