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Zeitschrift für christliche Kunst — 7.1894

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Effmann, Wilhelm: Glocken der Marienkirche zu Rostock, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3824#0083

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1894. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 4.

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der Glocke sind von grofser Schönheit; die
Reliefs der Täfelchen und Medaillons, in
welchen vielleicht Abdrücke von Elfenbein-
oder Silberarbeiten italienischer Herkunft zu
erblicken sein dürften, waren indefs für das
gröbere Material der Glockenbronce wohl zu
fein modellirt und sind dieselben deshalb in
den Konturen nicht so scharf gerathen, dafs
eine Wiedergabe sich hier verlohnte.

Dem in den Inschriftzeilen entwickelten
Reichthum der Verzierungen entspricht der
übrige Schmuck der Glocke. Der untere Wulst
zeigt eine Verzierungsweise, die in runden aus

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Münzabdrücken gebildeten Erhebungen be-
steht. Dieselben sind, wie die vorstehende
Skizze zeigt, in gleichem Abstände voneinander
angebracht, stellenweise auch zur Kreuzform
gruppirt. Auf dem Mantel selbst sind drei figür-
liche' Darstellungen angebracht: Christus am
Kreuze in der Mitte, die Muttergottes und der
hl. Bartholomäus auf den beiden Seiten. Die
Zeichnung wurde in den Mantel der Form ein-
gegraben, so dafs sie also auf dem Mantel der
Glocke selbst in erhabenen Linien hervortritt. Von
diesen Darstellungen kann ich hier die beiden
ersteren in Abbildungen, die ebenso wie die der
Inschriften der zweiten Glocke nach Abdrücken
meines Freundes Savels hergestellt worden sind,
zur Anschauung bringen, wozu ich hier gleich
bemerke, dafs dieGesammthöhe des Kreuzigungs-
bildes liew, die der Muttergottes 12cm beträgt.
Die Darstellung der Kreuzigung trägt
ganz den Stilcharakter der Zeit, der sie durch
das Datum der Glocke zugewiesen ist. Der-
selbe prägt sich aus in dem leidenden Aussehen
des Gekreuzigten, in dem schmerzhaften Aus-
druck des seitlich auf die Brust gesenkten, mit
der Dornenkrone bedeckten Hauptes, wie in
dem abgemagerten Leibe mit den scharf hervor-
tretenden Rippen. Das Fehlen des Fufsbrettes,
die übereinander gelegten, nur von einem
Nagel durchbohrten Füfse, die offene Seiten-
wunde mit dem hervorquellenden Blute sind
weitere für jene Zeit kennzeichnende Merk-
male. Weniger ist dies bei dem Kreuze der
Fall, welches in der T-Form, nicht in der in
der gothischen Stilperiode in vorwiegendem Ge-
brauche befindlichen +-Form gebildet ist. Die

fünf Wunden sind durch besondere Zeichen
hervorgehoben, die bei den Wunden der Hände
unter-, bei den anderen nebengesetzt sind: in
denselben wird wohl die Marke des Glocken-
giefsers zu erblicken sein. Das Kreuz selbst, auf
dessen Vorderfläche die Holzfasern angedeutet
sind, ist perspektivisch gezeichnet, es steht ver-
senkt in einer den Golgathaberg andeutenden
Erhebung. Dieselbe ist mit Gräsern bedeckt
und das gleiche ist der Fall mit dem Hügel,
auf dem zur Rechten des Heilandes ein Mann
barhaupt, knieend dargestellt ist. Er ist an-
gethan mit kurzem, bis unten herab mit Knöpfen
besetztem Rocke; um den Leib trägt er einen
Gürtel, an dem auf der Rechten die Almosen-
tasche mit dem Dolche hängt. Flehend erhebt
der Knieende beide Hände zum Heiland empor;
sie halten das Spruchband, das sich über seinem
Haupte hinwegschwingt und in gothischen Mi-
nuskeln die Bitte des Mannes zeigt: viiserere
mei detis. Dafs es ein Laie ist, bekundet die
Tracht; ob man sich in demselben aber eine
Darstellung des Giefsers oder des Donators oder
irgend eine andere zu der Kirche oder der
Glocke in Beziehung stehende Person denken
will, mufs dahin gestellt bleiben.

Mit Graswuchs ist auch der Hügel bedeckt,
auf dem die Gottesmutter steht. In würde-
voller Anmuth, in vornehm edler Haltung steht
sie da, auf dem linken Arme das Kind, in der
Rechten das Lilienszepter. Unter der Krone
quillt das reiche Lockenhaar hervor, es um-
rahmt in schönem Zuge das feine Gesicht und
hängt dann über die Schultern lang hernieder.
Faltenlos legt sich das hochgegürtete Kleid dem
Oberkörper an, dessen oberer Theil der Zeittracht
entsprechend frei bleibt, und fällt dann in
kräftigen Längsfalten so weit herunter, dafs nur
die vorderen Enden der spitzen Schuhe unter
dem Saume des Gewandes hervorschauen. Der
über die Schultern lose herabfallende Ueber-
wurf hängt hinten tief herab, vorne werden
die Enden mit der linken Hand zusammen-
gerafft und hochgezogen, so dafs der rechte Arm
ärmelartig umschlungen, der linke, auf dem das
Kind sitzt, ganz bedeckt wird. Das Christus-
kind, das spielend seiner Mutter einen Apfel
hinhält, macht in seinem schlichten Kleidchen
einen viel natürlicheren und anmuthigeren Ein-
druck, als dies bei manchen nackten Darstellungen
jener Zeit der Fall ist.

Freiburg (Schw.). W. Effmann.
 
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