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Zeitschrift für christliche Kunst — 7.1894

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Savels, C. A.: Hungertücher
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https://doi.org/10.11588/diglit.3824#0118

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179

1894. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 6.

180

Hungertücher.1)

Mit 2 Abbildungen.

u allen Zeiten der christlichen Aera
ist die Betrachtung des bittern Lei-
dens unsers Herrn Jesu Christi ein
Hauptgegenstand öffentlichen Got-
tesdienstes sowie stiller Andacht der Gläubigen
gewesen, nicht minder aber ein unerschöpflicher
Born, dem die christliche Kunst in Wort und Bild
den Stoff zu ihren erhebendsten Schöpfungen
entnimmt. Je härter die zeitige Bedrängnifs,
desto gröfser zeigt sich auch die Vorliebe des
Volkes für Darstellungen des erbarmungsvollen
Erlösers und für alle auf die Passion bezüg-
lichen Gegenstände. Daher stammt die weite
Verbreitung der „Erbärmden, Oelberge, Kal-
varienberge, hl. Gräber" in älteren, der „Pas-
sionssäulen, Kreuzwege und Stationen" in
neueren Zeiten. Der konservative Sinn der
Vorfahren hat im Münsterlande Manches be-
wahrt, was anderswo verschwunden ist, so Er-
bärmden und Passionssäulen, namentlich aber
„Hungertücher", welche in anderen Gegenden
kaum mehr dem Namen nach bekannt sind,
vielweniger aber, wie dort, auch noch heutigen
Tages in zahlreichen Kirchen zur Erbauung
der Gläubigen alljährlich aufgehängt werden.
Von vereinzelten Ausnahmen abgesehen, kennen
Frankreich, Italien, die Niederlande, Oester-
reich und das übrige Deutschland keine Hun-
gertücher mehr und dennoch ist deren Ge-
brauch in früheren Zeiten ein ganz allgemeiner
gewesen, wie aus den Ueberlieferungen2) her-
vorgeht.

Bekanntlich wurden von Alters her, sobald
die Kirche beginnt von der Passion zu reden,
sämmtliche Kreuze und alle zur Zierrath des

') Nach einem am 18. Dezember 1888 im St. Flo-
rentins-Verein zu Münster i. W. gehaltenen, mit einer
Ausstellung hervorragender Hungertücher der Diözese
Münster verbundenen Vortrage. Die Abbildungen sind
nach photographischen Aufnahmen des Herrn Pro-
vinzial-Bauinspektors und Konservators A. Ludorff
zu Münster hergestellt.

2) Bezüglich der Literatur über Hungertücher sei
verwiesen auf: a) M. Weale ,,le velum templi" in
»le Beffroi« Bd. II S. 39 ff. mit zahlreichen Angaben
über namentlich in Frankreich, Belgien und England
vorhanden gewesene Hungertücher, b) Heuser „Fasten"
und „Fastentuch" in Wetzer-Welte »Kirchenlexikon«
II. Aufl., Bd. IV Sp. 1255—57. c) Otte, »Handbuch
der kirchlichen Kunstarchäologie«. V. Aufl., Bd. I
S. 383—387.

Gotteshauses dienenden Gegenstände sowie
das Sanktuarium, sowohl nach dem Chor als
auch den etwa vorhandenen Umgängen durch
Vorhänge verhüllt. Der bedeutendste dieser
Vorhänge ist das „velum templi" oder Hun-
gertuch.

Ursprung und Bedeutung desselben erklärt
Durandus L. I. cp. 3 seines in der zweiten
Hälfte des XIII. Jahrh. (1276) geschriebenen,
nach dem Inhalte aber unter Benutzung viel
älterer Quellen verfafsten, Rationale divinorum
officiorum: „Dieses velum versinnbildlicht den
Vorhang des Tempels zu Jerusalem, welcher
beim Tode Jesu Christi zerrifs und nach dessen
Vorbilde heutigen Tages die Vorhänge, welche
man zu Quadragesima während der Feier des
Opfers vor dem Altare entfaltet, von mannig-
faltiger Schönheit gewebt werden". Die kirch-
liche Bezeichnung dieses Vorhanges ist daher
velum quadragesimale, weil er zum Beginn der
40 tägigen Fasten aufgehängt wurde, zu deutsch
nennt man ihn Fasten- oder Hungertuch, nie-
derdeutsch „Smachtlappen".

Seitdem der Beginn der grofsen Fasten,
welcher von Alters her nicht feststehend, durch
das Konzil zu Benevent auf den Mittwoch
vor dem Sonntag Quadragesima festgesetzt
ist, wird das Hungertuch auch jetzt noch
allgemein schon zum Aschermittwoch und
zwar nicht während des Officiums des Tages,
sondern bereits am Vorabende aufgehängt.
In alter Zeit blieb es hängen bis zum Char-
freitag, nach Durandus L. VI. cp. 32 „ab hac
die usque ad Parascevem .... velum ante
altare suspenditur"; jetzt gewöhnlich bis zum
Mittwoch in der Charwoche. An mehreren
Orten z. B. Coesfeld, Billerbeck, Nottuln hat
sich der „usus" oder auch „abusus" erhalten,
das Hungertuch während des Absingens der
Passion bei den Worten: „Et velum templi
scissum est" fallen zu lassen; in der Lamberti-
kirche zu Coesfeld gibt zu dem Behufe der
Küster im Chor dem auf dem Gewölbe be-
findlichen Glöckner kurz vorher dadurch ein
Zeichen, dafs er mit einem hölzernen Hammer,
sogenanntem Bücker, auf die Bank schlägt, wor-
auf dieser die haltenden Schnüre des Hun-
gertuches löst und letzteres mit der tragenden
Stange unter grofsem Geräusche zu Boden
 
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