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Zeitschrift für christliche Kunst — 7.1894

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Buschmeyer, Franz: Die Rathsfahne im Dome zu Erfurt
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https://doi.org/10.11588/diglit.3824#0136

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207

1894. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 7.

208

Erstere ist auch aus den Formen der Orna-
mente und der Architekturen zu erkennen, letz-
tere aus dem Bildwerk, welches ihre Beziehungen
zur Stadt, wie zu dem Rath ausdrückt, wie aus
der unten folgenden näheren Beschreibung her-
vorgehen wird.

Die Fahne ist 1,22 m breit und 1,94 m hoch.
Sie hängt an einem Querstab, der mittels Haken
an der Fahnenstange befestigt ist. Wie aus der
Abbildung, der eine kolorirte Zeichnung zu
Grunde liegt, sich ergibt, ist die Fahne in zwei
Theile getheilt, wovon die untere Hälfte fünf-
mal geschlitzt ist, also aus sechs Streifen be-
stehend, das Gehänge der Fahne bildet. Rings
um die Fahne, sowie um die einzelnen Theile
des Gehänges, läuft eine Goldborte, die, in
regelmäfsigen Abständen, mit kleinen Quästchen
versehen ist, eine recht wirkungsvolle Belebung
der sonst etwas monotonen Linie. An der
unteren Seite der Streifen der Gehänges befinden
sich Goldfransen.

Im oberen Theil sehen wir als Hauptfigur
die Patronin des Erfurter Domes, die Himmels-
königin mit dem Jesuskinde. Sie steht unter
einem reichen, goldenen Baldachinwerk mit
rothem Hintergrund, auf einem aus goldenen
und rothen Plättchen zusammengesetzten Fufs-
boden, von einem goldenen Strahlenkranz um-
flossen, die silberne Mondsichel zu Füfsen. Ein
aus krausem Laubwerk gebildeter Sockel trägt
den Fufsboden. Seitlich lehnen sich an diesen
zwei Strebepfeiler, welche sich mit reichen Fialen,
Blattwerk, kleinen Baldachinen mit zwei posaunen-
blasenden Engeln, zu einer luftigen, ganz in
Gold ausgeführten Seitendekoration entwickeln.
Diese Streben tragen den aus dem Sechseck
konstruirten, in perspektivischer Ansicht gezeich-
neten Baldachin. Das kleine, innen sichtbar
werdende Gewölbe ist blau, wie der Mantel
der Madonna, und auf derselben Grundfarbe
steht in goldenen Lettern, auf breitem Bande,
am oberen Rande der Fahne: Sa. Maria ora
pro nobis. An den hervorspringenden Ecken
des Baldachins bilden sich kleine Nischen mit
den Figuren des die frohe Botschaft bringenden
Engels und diesem gegenüber die allerseligste
Jungfrau, beide auf rothem Grund in Gold aus-
geführt, wie auch die ganze Architektur golden
ist. Zu Seiten der Architektur knieen zwei rauch-
fafsschwingende Engel mit goldenen, schwarz
gemusterten Dalmatiken. Die in den Ecken be-
findlichen vier Wappen weisen auf die Stadt

Erfurt hin (links oben) wie auf die von der-
selben im XIV. Jahrh. erworbenen Schlösser:
Vippach (links unten), Vieselbach (rechts oben)
und Kapellendorf (rechts unten). Das Wappen
von Vargula befindet sich oben am linken
Söckelchen des Baldachins.

Der untere Theil wird vom oberen durch
eine Bordüre getrennt, die zwischen Ornament
fünf Medaillons enthält. In diesen Medaillons
sind die vier Evangelistensymbole auf blauem
Grund zu beiden Seiten, in der Mitte das Lamm
Gottes auf rothem Grund, zur Darstellung ge-
bracht. In den sechs Streifen des Gehänges ist
ein reiches Goldornament angewandt, das, sich
wiederholend, nur in den Einzelheiten einige
Verschiedenheit zeigt. Dieses reiche Gold-
ornament wird recht wirksam durch drei Reihen
Vierpässe unterbrochen, die in der obersten
und untersten Reihe Brustbilder der zwölf
Apostel zeigen, in der mittleren aber Patriarchen
aus dem Stammbaum Mariens, nämlich: (von
rechts nach links) Abraham, Jesse, David, Eleazar
und Joachim. Sämmtliche Medaillons haben
keinen besonderen farbigen Grundton, sondern
der gelbgrünliche, stark verschossene Grundton
der ripsartigen Seide, welcher den Fond für die
ganze Fahne bildet, geht als die gleiche Farbe
hinter Ornament und Figuren her. Die silbernen
Spruchbänder geben die Namen der einzelnen
Gestalten, deren farbige Gewänder in Roth,
Grün, Grau, Blau, sich dunkel von diesem
Hintergrund abheben und nur wenig Weifs ver-
wendet zeigen.

Auf der Rückseite der Fahne erscheint der
Stadtpatron, der hl. Martinus als Bischof, mit
der Ueberschrift: Sie. Mariine ora pro nobis.
Die Architektur, die rauchfafstragenden Engel,
die beide Theile trennende Bordüre, die Orna-
mente und die Figuren des unteren Theiles sind
identisch mit denen auf der Vorderseite.

Leider hat die Fahne, wie aus dem figür-
lichen Theil ersichtlich, im vorigen Jahrhundert
eine Restauration erfahren, die, zumal in den
Gewandparthieen, wenig geglückt ist. Auf diese
Restauration beziehen sich wohl auch die an
den Sockeln der beiden Säulen angebrachten
Buchstaben: J. M. R. und G. M. C. mit zwei Wappen
und der Jahreszahl 1742. Sie weisen auf die
Obersten-Rathsmeister (Johann Michael Rotter-
mund und Georg Melchior Clemens) von Erfurt,
deren Familienwappen und Amtsperiode hin.

Kevelaer.

Franz Buschmeyer.
 
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