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Zeitschrift für christliche Kunst — 7.1894

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Beissel, Stephan: Gestickte und gewebte Vorhänge der römischen Kirchen in der zweiten Hälfte des VIII. und in der ersten Hälfte des IX. Jahrhunderts
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371

1894. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 12.

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von etwa 750 bis 850, besonders aber seit etwa
800 so oft im Papstbuche vorkommen. Man
darf aber aus dem Umstände, dafs sich die Nach-
richten auf dies Jahrhundert beschränken, keines-
wegs schliefsen, früher und später seien ähn-
liche Webereien seltner gewesen. Die einzelnen
Lebensbeschreibungen der Päpste sind eben
sehr verschieden; denn in denselben wird stets
das betont, was dem betreffenden Schreiber am
nächsten lag. In jenem Zeiträume schrieb ein
Beamter jene Leben, der in den Geschäfts-
räumen des päpstlichen Vestararius, des Schatz-
meisters, ein Amt bekleidete, vielleicht that es
der Schatzmeister selbst.00) Der Papst war zu
jener Zeit der Eigenthümer aller Kirchen Roms
und der nächsten Umgegend. Auch andererorts
lag damals dem Bischof die juristische Vertre-
tung aller Kirchen seines Sprengeis ob. Der
Schatzmeister hatte nicht nur die Aufsicht über
die Kirchenschätze, sondern auch die Aufgabe,
neue Gefäfse und Paramente anzuschaffen. In
seinen Listen stand darum, was jede Kirche besafs
oder empfing. Die Schreiber des »Liber ponti-
ficalis« haben nun in der zweiten Hälfte des VIII.
und in der ersten Hälfte des IX. Jahrh. jene Listen
fleifsig benutzt und verwerthet. Ihre Vorgänger
hatten sich weit kürzer gefafst und vielleicht
weniger Interesse für solche Dinge; ihre Nach-
folger beweisen einen weitern Blick, berichten
nicht mehr über Angelegenheiten der Sakristeien,
sondern über die kirchenpolitischen Ereignisse.

Dafs genaue Listen über die Kirchenschätze
und ihre Veränderung, besonders ihre Ver-
mehrung, seit alters geführt wurden, erhellt aus
der Charta Cornutiana; gibt sie doch schon
im Jahre 471 Nachrichten über kirchliche Ge-
räthe und Paramente, welche sich in der Art
der Aufzählung mit denen decken, die wir
400 Jahre später im Papstbuche finden. Ueber
die in jener Charta so genau bestimmten Farben
ist bereits oben das Nöthige beigebracht worden.
Hier bleibt zu erwähnen, dafs sie aufser den
ganz oder halb „sirischen" (seidenen) Stoffen auch
dreierlei persische Webereien, Leinen aus
Aquitanien und mit Adlern gemusterte Halb-
seide aufzählt. Auch das »Bischofsbuch von
Ravenna« berichtet über kostbare Altardecken.

6. Der Einflufs jener orientalischen
Webereien ist nicht gering anzuschlagen. Sie
wirkten bedeutend sowohl auf das Ornament

66) Vgl. Duchesne in der Einleitung zum »Lib.
pont.. I, p. CCXLIII s.

als auf die Bildwerke. Ihnen entlehnte die
abendländische Ornamentik bis zum Beginn der
gothischen Epoche zahllose Motive. Die alten Kul-
turen des Morgenlandes, besonders die assyrische
und die persische, hatten lange vor Christi Geburt
eine Reihe von Verzierungen eingebürgert, die
durch mehr als ein Jahrtausend eine inter-
nationale Verbreitung fanden. Sie wurden durch
die sarazenischen Künstler weiterentwickelt. Der
alte Lebensbaum Assyriens, neben dem rechts
und links ein Löwe wacht, zahlreiche Zeichnungen
von paarweise gegeneinandergestellten Thieren,
von Elephanten, Einhörnern u. s. w. sind jenem
alten Ornamentschatz entlehnt worden. Diese
Thatsache ist allgemein bekannt und zugegeben.

Aber auch manche Szenen müssen im Morgen-
lande erfunden und von da aus nach Rom und
in's ganze Abendland gekommen sein. Viele
der mit Bildern versehenen Stoffe werden ja
ausdrücklich als tyrische oder syrische bezeich-
net. Im hl. Lande war die Erinnerung an die
Ereignisse aus dem Leben Christi und Maria
lebhafter. Dort, wo die Kreuzigung keine natio-
nale Strafart war, wo man das hl. Kreuz und
das Grab Christi als Mittelpunkte einer grofs-
artigen Wallfahrt verehrte, werden wohl die
ersten Bilder des Gekreuzigten, die ersten
Darstellungen des Grabmonumentes, vordem
ein Engel sitzt und dem sich zwei oder drei
hh. Frauen nahen, gezeichnet worden sein. Die
beiden unter dem Kreuz stehenden Männer,
der Schwammträger und Longinus, dürften wohl
in Syrien und Palestina zuerst gezeichnet und
später allerorts kopirt worden sein. Das Bild
des Todes Marias fällt bis in's XI. Jahrh. in
Stil und Auffassung so sehr aus dem Rahmen
abendländischer Kompositionen heraus, dafs es
nur aus dem Morgenlande kommen kann.
Gleiches gilt von dem Bilde der Höllenfahrt
Christi, das in der späteren byzantinischen Kunst
als Auferstehungsbild gilt.

So gern man aber die grofse Zahl und die
Wichtigkeit jener morgenländischen Webereien
anerkennen wird, so entschieden man in ihnen
ein wichtiges Mittel der Beeinflussung der ita-
lienischen Kunst durch die orientalische finden
mufs, ebensosehr wird man sich andererseits
vor Ueberschätzung jenes Einflusses zu hüten
haben. Die Bilder der Geburt und Kreuzigung
und vor allem der Auferstehung Christi über-
treffen in jenen Vorhängen nicht nur defshalb
an Zahl alle andern, weil jene Geheimnisse in
 
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