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Zeitschrift für christliche Kunst — 13.1900

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Bertram, Adolf: Das eherne Taufbecken im Dome zu Hildesheim, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3912#0104

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1900. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTUCHE KUNST — Nr. 5.

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vergitterten Fenster eines kleinen romanischen
Bauwerks mit Eckthurm. — So sind, im Halb-
kreis das Thronbild umrahmend, in ornamental
trefflich wirkender Gruppirung die G Werke
der Barmherzigkeit dargestellt, wie sie der Evan-
gelist Matthäus27) aufzählt.

Wir haben jetzt den Ideencyklus der Bild-
werke, in denen der Weg zur Sündenver-
gebung dargelegt ist, durchwandert. Ein Bil-
derpaar haben wir seither unberücksichtigt ge-
lassen. Es ist

IV. Das Widmungsbild und sein Typus.

Maria ist die Patronin des Domes und des
Stifts Hildesheim. Von allen Gaben und Er-
werbungen im Bisthum nimmt sie als Schutz-
herrin Besitz. In zahlreichen Kunstwerken
und Urkunden kehrt dieser Gedanke wieder.
Mit Grufs und Widmung an die Gottesmutter
wollte deshalb auch unser Meister den über-
reichen Ideen- und Bildercyklus seines Werkes
schliefsen.

1. Auf breitem Throne (mit kanellirtem Fufs,
kräftig ausladendem Sitz und geschweift aufstei-
gender Lehne) sitzt die jungfräuliche Mutter,
aufgefafst nach dem damals vorherrschenden
Geschmack als würdige Matrone,28) bekleidet
mit langer Tunika und langem Mantel, der
eine fast glockenförmige Gestalt hat; das Haupt
ist umhüllt vom Kopftuch, auf das sich über
der hohen Stirn eine Krone mit Steinen und
Lilienspitzen setzt. Zu dieser feierlichen Hoheit
bildet einen fesselnden Kontrast das Kindchen
in seiner frischen Lebendigkeit und zarten An-
muth. Quer sitzt es im Schoofse der Mutter,
von der Hand derselben leicht seitlich unter-
fangen; mit dem rechten Beinchen stemmt es
sich — fast genrehaft — gegen den Schenkel
der Mutter, der linke Fufs hängt frei herab.
Das Kind hält in der Linken ein Lilienscepter,
mit der Rechten — eine innig empfundene
Auffassung! — greift es hinauf zum Kinn der
Mutter, das von dem kleinen Händchen kosend
umfafst wird. Das Auge des Kindes ruht im
Auge der Mutter, die den Blick liebend zu
erwidern scheint, dabei aber die Hand flach
auf die Brust legt (Gestus der Ehrerbietung).
Diese selbe herzliche Auffassung, die im Griff
des Kindes zum Kinn der Mutter sich kund-

-7) 25, 35 f.

29) Vergl. Vöge »Eine deutsche Malerschule um
die Wende des ersten Jahrtausend« S. 807. — Hase-
loff a. a. ü. S. 253 f.

giebt, finden wir ein paar Jahrzehnte früher in
dem bekannten Stuckrelief an der Chorschranke
der Michaeliskirche zu Hildesheini.

Ein anderes Stuckrelief (das Tympanonbild
der Godehardi-Kirche) kann im Verein mit dem
herkömmlichen Patronenbild im Domsiegel für
die Haltung der beiden Bischöfe vorbildlich
gewesen sein, die als Paladine neben Maria
stehen: Godehard und Epiphanius,29) Neben-
patrone des Domes. Beide strecken eine offene
Hand weit aus zum Jesuskind als Zeichen ehr-
furchtsvoller Hingabe; sie tragen den üblichen
verzierten Bischofsornat, dessen Stoffe, wie
auch die Gewänder Mariens die steif schemati-
sche Fältelung in kleine Parallelfalteri zeigen; die
schlichten Krummstäbe reichen nur vom Dal-
matika-Saum bis zur Schulterhöhe. Ein Schimmer
freudiger Theilnahme erhellt die von kurzem
Bart umrahmten porträtartigen Köpfe. —
Ganz unten am Throne kniet in geistlicher
Tracht der Donator des Taufsteins, aus Demuth
sehr klein dargestellt; mit den Händen hält er
empor zur Gottesmutter das Textband: Ave
Maria, gratia plena. Wie er heifst80) und
was er hier will, steht im Kleeblattbogen:
Wilbernus venie spe dal laudujue Marie
Hoc decus Ecclesie. Suscipe Christe pie.
2. Mit Gebet zum Herrn und Mariens Lob
klingt der überreiche Inschriftenkreis des Tauf-
kessels aus; und ebenso verkündet das letzte
Deckelbild die Vorzüge Mariens. Es ist die
Ruthe Aar ons,31) die allein blühend zwischen
11 dürren Stäben auf dem Altare in ringförmiger
Hülle steckt; neben dem Altare steht Moses

2'') St. Bernward, dessen Gebeine nicht in dem
Dome ruhten, erfreute sich damals noch nicht der
Bevorzugung vor dem viel älteren Epiphanius.

30) Urkundliche oder chronistische Nachrichten
über diesen Wilbernus sind bis jetzt nicht aufgefunden.
Dafs er, wie zumeist angenommen, ein Hildesheimer
Domherr sei, ist nicht unwahrscheinlich. — Ein eigen-
thümlicher Zufall will, dafs der Donator des Tauf-
beckens in Osnabrück den gleichen Namen fuhrt
(Mithoff »Kunstdenkmale und AlterthUmer im Han-
noverschen« VI, 109).

■'") Die hildesheimsche Kunst stellte gern Aarons
Ruthe als Zeichen der wunderbaren jungfräulichen
Mutterschaft zusammen mit Maria Verkündigung. Bei-
spiele sind die Medaillons am Bernhards-Kelche
unserer Godehardikirche (um 1150) und das VerkUn-
digungsbild in dem (aus Hildesheims Michaeliskloster
stammenden) Stammheimer Codex (gegen 1200). —
Die Bedeutung des Aaronstabes im Cyklus unseres
Taufbeckens hat erstmalig Schnaase (V, 6'17), dann
Beissei a. a. O. richtig gedeutet.
 
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