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Zeitschrift für christliche Kunst — 13.1900

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Sörensen, Johannes: Ein Q. Massys'sches Andachtsbild
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https://doi.org/10.11588/diglit.3912#0162

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239

1900. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 8.

240

Ein 0. Massys'sches Andachtsbild.

(Mit Abbildung.)

der Sakristei des Klosters zu
VVeert (Holl. Limbg.) bewahren die
Franziskanermönche, nebst einem
sehr bedeutenden Bilde „Die Ver-
spottung Christi" eines niederländischen Mei-
sters, auch ein anderes Oelgemälde von her-
vorragendem Werthe, das noch der Blüthezeit
der altflämischen Malerei angehört und wohl
keinem geringeren zugeschrieben werden darf,
als Quentin Massys (c. 1460—1530).

Es ist eine Pietä,
die Madonna mit dem
soeben vom Kreuzes-
stamme herabgenomme-
nen Leichname ihres
Sohnes. Sie fafst voll
mütterlichen Kummers
das Haupt Christi, um
ihm den letzten Ab-
schiedskufs auf die Wan-
ge zu drücken. Die Ver-
bindung von Liebe und
Schmerz im Antlitze Ma-
ria's ist von höchster
Meisterschaft. Ihr Kopi
ist gefällig und ange-
nehm, ohne aber nach
der plastischen Jugend-
schönheit zu streben,
welche Raffael und die
Südländer ihren Madon-
nen zu geben wufsten.
Es ist ein kräftiger, fast
mannhafter Frauentypus,
wie er bei Massys häufig
wiederkehrt. Vorne steht
die conventioneile Mes-
singschüssel, in welcher der Schwamm sichtbar
ist, mit dem die blutigen Wunden des Sohnes
gewaschen wurden; daneben Kreuzesaufschrift
und drei Nägel.

Zur Geschichte dieses Bildes wird als ver-
bürgte, auf Tradition beruhende Wahrheit er-
zählt, dafs es durch Zufall bei einer vorge-
nommenen Reinigung unter einem anderen
werthlosen Oelgemälde zum Vorschein ge-
kommen sei, das zum Schutze gegen Bilder-
stürmer oder Soldatenhabgier fest darüber
aufgekleistert worden war. Wie lange es be-

Q. Massys, Pietä von Weert.

reits in dem Kloster Zuflucht gefunden, liefs
sich nicht bestimmt ermitteln. Der Zustand
der Erhaltung ist noch ein sehr guter zu
nennen. Der unbekannte erste und einzige
Restaurator hat sich gewissenhaft darauf be-
schränkt, abgesprungene Farbenstellen wie z. B.
am Aermel der Madonna mit möglichst gleichem
Ton zu füllen, glücklicherweise ohne sich dazu
haben verleiten zu lassen, die Pinselstriche
über die lädirten Stellen hinauszuführen. Ab-
gesehen von dem von
oben nach unten durch
die Mitte des Bildes sicht-
baren Sprunge, zeigt
die Farbenschicht keine
andere Sprungbildung
als die feinen, der Holz-
faser entsprechenden
Risse.

Die Münchener Pina-
kothek besitzt von der-
selben Hand ein Bild,
das dem Gegenstande
und auch der allgemei-
nen Anordnung nach
mit dem unsrigen über-
einstimmt, das aber in
Bezug auf Konservirung
weit hinter dem uns-
rigen zurücksteht, wie
noch ein neuerlicher
Vergleich erwies. Beide
sind Kniestücke; sie
unterscheiden sich je-
doch in den Maafsen;
während das Münchener
Bild (auf 1,20 m H.,
und 1,02 m Br.) die Gestalten in Körper-
gröfse zeigt, mifst dieses, auf Eichenholz mit
Kreidegrund ruhende Bild blos 72 cm H. zu
48 cm Br. In der Auffassung und Durch-
führung offenbart es so gut wie jenes die ganze
Quentin'sche Eigenart. Massys ist ein Meister
des Ueberganges; er steht auf der Scheide der
Spätgothik und des Mittelalters und der von
Süden vordringenden Renaissance. Es ist die-
selbe grofse und tiefe Erfassung des Gemüths-
ausdruckes wie bei Roger v. der Weyden
(f 1464), die auf jeden unbefangenen Beobach-
 
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