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Zeitschrift für christliche Kunst — 13.1900

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Sörensen, Johannes: Ein Q. Massys'sches Andachtsbild
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https://doi.org/10.11588/diglit.3912#0163

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241

1900.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTUCHE KUNST — Nr. 8.

242

ter ihrer Wirkung sicher ist. Diese Gestalten
kränkeln nicht an der modernen „tödtlichen
Schwäche" des Ausdrucks; es ist diesen echten
Charaktern ernst mit dem, was sie thur. und
vorstellen, es ist keine alltägliche oder thea-
tralische Verrichtung, mit der sie beschäftigt
sind, sondern eine Kulthandlung. Es ist das
eine wahre und ideale Auffassung, wie sie für
religiöse Historienmalerei nicht passender ge-
dacht werden kann, die aufserdem hier auf dem
Boden eines urkräftigen und doch von hohem
Schönheitssinne geläuterten Realismus steht.

Angesichts eines so herrlichen Bildes wird
die Sehnsucht doppelt rege, dafs doch auch
unsere gegenwärtige Kunst im Stande wäre,
solche Bilder für den Altar, für Kirche und
Haus, zu schaffen. Der Zweifel, ob es glaubens-
innige Künstler gebe, die mit ähnlicher Hin-
gabe an den religiösen Gegenstand zu arbeiten
vermöchten, ist ja unberechtigt und weit von
der Hand zu weisen. Nicht in einem Mangel
an Werthschätzung der Stoffe ist die Ursache
zu suchen, wohl aber in dem Mangel an einer
eigentlichen Historienmalerei überhaupt. Diese
beruht aber vor allem auf einer grofsen Auf-
fassung des Menschen und der Charaktere, - einer
Auffassung, die hinwiederum allerdings nicht
allein von der Begabung oder gar dem guten
Willen der Künstler abhängig ist, sondern am
leichtesten dort erblüht und sich entfaltet, wo
das Talent von einem mächtigen Geiste der
Zeit getragen ist, und der Einzelne nicht von
ihm dahin gedrängt wird, sich zuerst als Mit-
glied eines kleinlichen, genrehaften Privatda-
seins zu betrachten.

Die Formensprache zeigt, ohne dem gothischen
Charakter und der Neigung zu etwas eckiger
Behandlung ganz untreu zu werden, unzwei-
deutig die Einwirkung italienischer Eleganz
und Streben nach milderm Linienzuge. Trotz-
dem hat der Meister niemals den Süden be-
sucht, und kannte jene Kunst nur aus den zu-
fällig von den grofsen Kaufherren mitgebrach-
ten Werken, unter denen wohl die Madonna
Michelangelo's zu Brügge das bedeutendste war,
und damals bereits an der jetzigen Stelle stand.
Durch diese Eigenschaften rückt uns die
Massys'sche Malerei näher, wird sympathischer,
verliert vom archaischen Gepräge und erscheint
unserem Auge und unserem Gefühle moderner.
Ueberblickt man seine Kunstweise als Ganzes,

so scheint es dennoch mit Recht hervorge-
hoben zu werden, dafs es ihr nicht gelungen
ist, zum völligen Durchbruch, zur völlig ein-
heitlichen Verschmelzung von Form und Inhalt
zu kommen; mit dem strengsten Maafsstabe
gemessen, fehlt, wenn auch nur in geringem
Grade, die ganz harmonische klare Naivetät,
die völlige objektive Unmittelbarkeit; es ist, als
ob der Geist des Künstlers in etwa sich ge-
hemmt gefühlt hätte, sein Werk völlig und
ganz „aufser sich zu setzen". Nichts desto
weniger ist Massys auf flämischem Boden der
gröfste Künstler seiner Zeit; seinen religiösen
Gebilden ist eine Innigkeit und würdevolle
Hoheit eigen, wie sie nur einem grofsen Meister
tief religiöser Kunst gelingen.

Die Farbenhaltung des Bildes ist eine un-
gemein angenehme; und wenngleich ein durch-
aus chromatischer Effekt erstrebt und erzielt
wurde, so ist die Farbenwahl doch eine natür-
liche und weit realistischere als bei älteren
Malern. Das rothe Unterkleid der Madonna
kommt nur am pelzverbrämten Handgelenke
und am Kniee, rechts im Bilde, aber energisch
zu Wirkung. Mantel und Ueberkleid sind in
einem sehr dunklen, nur wenig nuancirten Grau-
violet gegeben. Die Landschaft mit dem
flämischen Bauernhofe im Hintergrunde deckt
ein etwas schwerer Abendhimmel. Die Pinsel-
führung ist an allen Fleischtheilen von grofser
Feinheit und Kraft; die Gewänder sind frei
und doch sicher hingesetzt. Die Thräne, welche
auf der Wange der Mutter zittert, ist so sorg-
fältig modellirt, wie die Thränen Memlings oder
ein Thautropfen auf einem von Huysum'schen
Blumenstück.

Zumal die sichern Bilder Q. Massys' nicht
häufig sind, — sie bilden aufser den bekannter.
Meisterwerken der Antwerpener „Grablegung"
(1508) und des Brüsseler Annenaltares (1509)
nur eine sehr kleine Zahl, — verdient die
gegenwärtige, nur wenig gekannte und sicher
noch nicht abgebildete Malerei um so mehr
Beachtung. Eine Inschrift liefs sich allerdings
nicht konstatiren, so dafs ein Anhaltspunkt für
Datirung des Bildes nicht gegeben war; es
erscheint jedoch in allen seinen Theilen vor-
trefflich und charakteristisch genug zu sein,
um keine andere denn eine eigenhändige Ausfüh-
rung des Meisters selbst annehmen zu lassen.

Exaeten. Johannes Sörensen S.J.
 
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