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Zeitschrift für christliche Kunst — 13.1900

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Nachrichten
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179

1900. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

Nr. 0'

180

Nachrichten.

Die retrospektive Ausstellung im Petit-
Palais der Pariser Weltausstellung. III.

Das Bedürfnils nach uralten gemusterten Ge-
w eben war natürlich nicht durch heimische Er-
zeugnisse zu decken; dafür war der Rekurs in den
Orient oder nach Byzanz nöthig, woher schon vor
manchen Jahrhunderten Seidenstoffe nach Frankreich
exportirt wurden. Nicht zwar in grofser Menge aber
doch in einer Anzahl bemerkenswerther Exemplare
haben sie sich hier, sei es als Paramente, sei es als
Grabtüchcr erhalten. Spätrömische oder sassanidische
Seidenstoffe sind nicht darunter; solche sind uns fast
nur in Abschnitten überliefert, und vielleicht empfahl
es sich nicht, sie in diese Ausstellung aufzunehmen.
Die Chorkappe der Klosterkirche von Chinon (Nr. 3258)
eröffnet den Reigen, ein streifenförmig geordnetes
Muster von grün, weifs, gelb gefleckten, angeketteten
Panthern auf tiefblauem Purpurgrund; ihre strenge
Zeichnung weist auf das VIII. oder IX. Jahrh. hin,
und der sie trennende phantastische Lebensbaum
wird von chinesischen Anklängen beherrscht; der
ganz kleine dreieckige Schild hat seine ursprüngliche
Fassung bewahrt. Von den fünf grofsen wohler-
haltenen GrabtUchern aus der Kathedrale von Sens
(die an Reichthum uralter, den Schreinen entnom-
mener Stoffreste von keiner Kirche des Landes er-
reicht wird) dürfte das des hl. Siviard (Nr. 3248),
ein byzantinisches Greifenmuster mit goldenen Ex-
tremitäten auf weifsem Grund, wohl nicht vor das
X. Jahrh. zu datiren sein. Dasjenige des hl. Lupus
(Nr. 3250), kreisartige Musterung mit gegenüberge-
stellten Löwen, dazwischen Hunde, blau auf gelbem
Grund, dürfte für den Orient und das X. Jahrh. in
Anspruch zu nehmen sein. Dasjenige des hl. Poten-
tianus (Nr. 3253), Medaillons mit Greifen und Vögeln
in kufischer Einfassung, ist wohl von den Arabern
im XL Jahrh. ausgeführt, und der rothe Seidenstoff
mit Vögeln und Gazellen, deren Köpfe, Schild
Füfse in Gold brochirt sind (Nr. 3255), ein häutig,
wenn auch selten so grofs vorkommendes Muster
mag der sarazenischen Industrie des XII. Jahrh. in
Palermo zugewiesen werden. Der feingemusterte
rothe Stoff mit Goldkreischen (Nr. 3256) scheint der
spanisch-maurischen Industrie des XIII. Jahih. zu
entstammen, welche diese Kasettenmusterungen liebte.
— Von den ausgestellten Kasein dürfte keine über
das XII. Jahrh. zurückreichen, sie haben aber den
Vorzug der ursprünglichen Glockenform, sowohl die
von St. Rambert (Nr. 3252), welche aus einem ge-
mischten golddurchwirkten Gewebe besteht mit Lö-
wen- und Vögelmotiven nebst rein dekorativen, also
nicht lesbaren kufischen Inschriften, welche abend-
ländischen Urprung vermuthen lassen. Die purpur-
si idene Kasel mit weifslicher (auf Byzanz hinwei-
sender) Punktiruni; aus Bayeux hat palermitanischen
Bortenschmuck des XII. Jahrh. Das rothe Mefsge-
wand aus Reims (Nr. 3265), welches mit dem aus
per'enverzierten Goldstoff gebildeten, applizirten Le-
bensbaum versehen ist, wird als französische Arbeit
des XIII. Jahrh. anzusprechen sein, mithin als eine

Rarität, da die französische Revolution fast mit allen
gestickten Paramenten des Mittelalters aufgeräumt,
fast nur die von den Klosterfrauen: den Karmelitessen,
Ursulinern u. s. w. bewahrten Kirchengewänder spä-
terer Zeit verschont hat, die der Aufmerksamkeit der
Behörden zumeist entgangen waren. Das in Bezug
auf Zeichnung wie Technik meisterhafte Kaselkreuz
des XIV. Jahrh. (Samml. Le Roy, Nr. 3261) erinnert
an oberitalienische Stickereien. Die Anbetung der
hl. drei Könige, welche den ganzen Mittelbalken aus-
füllt und diesem daher, im Unterschiede von den
meisten anderen Kaselkreuzen mit Horizontalbalken,
seine einheitliche Bedeutung wahrt, ist, wie die Heim-
suchung und Verkündigung, vornehmlich im Zopf-
stich ausgeführt; die weiteren Darstellungen des
Längsbalkens sind, wie fast alle mittelalterlichen
Kaselstäbe, im XVII. und XVIII.Jahrh. der Verkür-
zung zum Opfer gefallen. — Der überaus reich be-
stickte Chormantel aus St. Bertrand de Comminges
(Nr. 3266) ist zweifellos englischen Ursprungs, was
durch den Umstand, dals er der Kirche 1308 von
Papst Clemens V. geschenkt wurde, eine weitere Be-
stätigung erhält. Die englischen Bischöfe pflegten
nämlich in der Glanzzeit ihrer Stickereikunst des opus
anglicum, also von der Mitte des XIII. bis in die
2. Hälfte des XIV. Jahrh., als Erinnerung an ihre Be-
stätigung und Konsekration dem Papste eine reich-
gestickto Chorkappe zu widmen, und dieser pflegte,
wenn er die Weihe einer hervorragenden Kirche voll-
zog, eine davon als Andenken zurückzulassen. Diesen
Umstand erklärt das sporadische Voi kommen solcher
Chormäntel aufser England auch in Italien, Spanien,
Frankreich. Sie sind sehr charakteristisch, nicht nur
durch ihre frühgothischen Formen und ihren Reich-
thum, sondern auch durch die Vertheilung der Fi-
guren und Darstellungen, die entweder unter Arka-
turen gestellt, oder von Medaillons aller Art einge-
fafst sind, über den ganzen Mantel verbreitet, der, wie
alle Pluvialien dieser Zeit, nur eine ganz kleine drei-
eckige Kapuze hatte. Das vorliegende, leider im
XVIII. Jahrh. beschnittene Exemplar hat die mehr
ornamentale Verzierung, indem ein ganzes System
runder und ovaler Ranken die Darstellungen aus der
Passion und dem Leben der Gottesmutter, sowie ganz
naturalistisch behandelter Vögel und sonstiger Thiere,
umfängt, die in dem Modellirstich auf den gemusterten
Goldstoff übertragen sind. Dafs sie durchweg vortreff-
lich erhalten sind trotz der sonst nicht unerheblichen
Gebrauchsspuren, hat seinen Grund in der überaus
soliden Technik, indem der reichlich verwendete
Goldfaden nicht nur in dem losen Ueberfangstich,
sondern in dem festen, weil auf der Rückseite unter-
stochenen und so festgelegten Durchbruchstich ein-
getragen ist. Ein solcher Chormantel darf hinsicht-
lich der Zeichnung, die streng und doch sehr de-
korativ ist, wie der Ausführung als ein wahrer Triumph
der Kunst bezeichnet werden, und es ist zu bedauern,
dafs kein einziges Exemplar derselben seinen Weg
nach Deutschland genommen hat. — Ein Chormantel,
aus Leinen und Seide zu grolsen Thiermusterungen
verwebt, darf vielleicht als ein Produkt der deutschen
 
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