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Zeitschrift für christliche Kunst — 13.1900

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K., L.: Der ästhetische Geschmack
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https://doi.org/10.11588/diglit.3912#0155

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Abhandlungen.

Der ästhetische Geschmack.

yj5fVjrJJfei Kunstfreunden
ist das Wort „Ge-
\h schmack" ein be-
liebtes Schlag-
IS wort. „Dergofhi-
sche Stil sagt
meinem »Ge-
schmack« mehr
zu als der roma-
nische", meint Je-
mand. „Ich halte
den romanischen
für »geschmack-
voller«, entgegnet ein anderer; während ein
Dritter sich der „Geschmacksrichtung" der
Renaissance anschliefst und ein Vierter in dem
Streit eine „Geschmacksgimpelei" findet. Ein
anderes Mal nennt Jemand, der seine „Geschmacks-
bildung" nach griechischen „Geschmacksmustern''
besorgt, die Meister der mittelalterlichen Malerei
und Skulptur „Geschmacksverderber" und ihre
Werke „geschmackswidrig". Sucht man diesen
„Geschmacksurtheilen"mitGründen zu begegnen,
so heifst es: „Ueber Geschmackssachen läfst
sich nicht streiten." Damit fällt denn jede ob-
jektive Norm wie für alle Kunst, so für die
christliche Kunst. Der Grund der verschie-
denen Urtheile liegt, wie in anderen Fällen, in
dem Doppelsinne des Wortes und der Unklar-
heit des damit verbundenen Begriffes. Die sich
so ergebenden Mifsverständnisse sind um so
bedauerlicher, weil sich wenigstens praktisch
die meisten in ästhetischen Fragen von ihrem
Geschmacke leiten lassen. Die Aufstellung einer
richtigen und klaren Definition dürfte mithin,
zumal die vorliegenden Aesthetikwerke wenig-
stens dem Wortlaute nach sehr von einander
abweichen, nicht ohne Bedeutung sein.

Klarheit verlangt Unterscheidung, schon
in der Methode. Es kommt nicht darauf an,
was irgend ein Aesthetiker unter „Geschmack"
verstehen will, sondern was er nach dem
Sprachgebrauch darunter verstehen mufs: sonst
ist der Verwirrung kein Ende. Den Ausgangs-

punkt bildet also nothwendig die Worterklä-
rung, welche zwei Momente in sich schliefst:
einmal Festsetzung der verschiedenen Bedeu-
tungen (z. B. von den verschiedenen „Seelen"
sei die „Menschenseele" zu definiren) und Be-
stimmung der zu untersuchenden (Worterklärung
im engeren Sinne), dann Verdeutlichung der
gewählten Bedeutung (Verbalerklärung: Die
Menschenseele ist das Prinzip des Erkennens
u. s. w.). Die so gewonnene Begriffsbestimmung
genügt für gewöhnlich und führt durch philo-
sophische Analyse zur wissenschaftlichen Sach-
erklärung (Die Menschenseele ist eine einfache
Substanz, welche das Prinzip des Erkennens
ist u. s. w.).

Zunächst also zur Worterklärung: Das
Wort Geschmack hatte ursprünglich zwei ganz
verschiedene Bedeutungen: Geschmack der
Nase und Geschmack des Mundes; erstere
ist aber in der neuhochdeutschen Schriftsprache
allmählich erloschen und lebt nur in ober-
deutschen Mundarten weiter. Vom Geschmack
des Mundes wurde das Wort übertragen auf
den Geschmack der Seele im Sinne von
„innerer Empfindung, Wohlgefallen, geistigem
Genufs", und namentlich auf das Schöne an-
gewandt : das ist der ästhetische Ge-
schmack. (Belege für die verschiedenen Be-
deutungen s. bei Grimm IV, 2, 3925 ff.)

Doch auch hier ist weiter zu unterscheiden.
Wenn z. B. Jakobsson von dem guten Ge-
schmacke eines Gemäldes redet, so meint er
etwas anderes als wenn König sagt: „Ein
feiner Geschmack entdecket alsofort, durch
Hülfe der Empfindung, was ein Kunstver-
ständiger durch den Weg einer angestellten
Untersuchung erkannt hätte" oder wenn Schiller
schreibt: „Nur der Geschmack geniefst, was
die Gelehrsamkeit pflanzt". Jakobsson spricht
von einer Eigenschaft des Objekts, dem ob-
jektiven Geschmack, König und Schiller
von einer Fähigkeit oder Thätigkeit des Sub-
jekts, dem subjektiven Geschmack. Letz-
tere Bedeutung mufs als die ursprünglichere
und bei weitem vorwiegende der Begriffsbe-
stimmung zu Grunde gelegt werden und zwar
(aus dem gleichen Grunde) nicht kollektiv
 
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