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Zeitschrift für christliche Kunst — 13.1900

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Semper, Hans: Ueber rheinische Elfenbein- und Beinarbeiten des XI.-XII. Jahrh.: Ein Nachtrag
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https://doi.org/10.11588/diglit.3912#0119

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167

1900. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

Nr. G.

168

Ueber rheinische Elfenbein- und Beinarbeiten des XI.—XII. Jahrh.

Ein Nachtrag. (Mit 2 Abbildungen.)

Jahres 1896 besprochenen

| EpHTJgl "' IX. Jahrgang dieser Zeitschrift
1 (Sp. 259 ff., 291 ff.) hat Schreiber
dieses unter obiger Aufschrift eine
bestimmte Gruppe von Reliquien-
kästchen mit Beinsculpturen als rheinische
Arbeiten des XI. bis XII. Jahrh. bezeichnet
und deren christlich-orientalischen Ursprung
im XIII. Jahrh., wie er von einem angesehenen
Fachmann behauptet wurde, in Abrede ge-
stellt. Obwohl nun Unterzeichneter überzeugt
ist, seine Ansicht über diese Gattung von
Kunstwerken schon damals durch hinreichende
Beweismittel, wenn auch mehr inductiver Art,
begründet zu haben, so hält er es doch nicht
für überflüssig, das Ergebnifs seiner damaligen
Untersuchung, durch einen weiteren, als klas-
sisch zu bezeichnenden Beleg, endgültig als
richtig zu bestätigen. Als einen solchen Beleg
führt er dem Leser hiermit ein Reliquienkäst-
chen aus der königl. Antikensammlung in Stutt-
gart vor, welches die Gestalt einer Basilika zeigt
und an seinem ausladenden Sockel eine Länge
von 25,5 cm und eine Frontbreite von 25 cm
mifst, während die Höhe vom Sockel bis zum
Scheitel ca. .'52,5 cm beträgt. Eine nähere Be-
schreibung der Gestalt und der Anordnung des
Beinreliefschmuckes dieser Holztruhe können
wir uns, mit dem Hinweis auf beistehende
Abbildungen (Fig. 1 u. 2)1) wohl um so eher
ersparen, als deren hauptsächlich in Betracht
kommende, charakteristische Einzelheiten ohne-
hin in dem beifolgenden Nachweis über die
gewissermafsen urkundliche Bedeutung
dieses kleinen Denkmals in Bezug auf Her-
kunft und Entstchungszeit der von uns
früher besprochenen Reliquienkästchen, hervor-
zuheben sein werden.

Um eine solche Bedeutung des in Rede
stehenden Reliquienschreines für die Bestim-
mung der vorgenannten Werke ersichtlich zu
machen, handelt es sich in erster Linie darum,
festzustellen, dafs das Stuttgarter Reliquiar stili-
stisch auch wirklich derselben Gattung von
Denkmalen angehört, wie die im Aufsatz des

') Herr Dr. HansGraeven in Hannover hat uns
die Photographien hierzu, welche zu der in Vorbe-
reitung begriffenen zweiten, deutschen Serie, seiner
»Frühchristlichen und mittelalterlichen Elfenbeinwerke«
gehören, gütigst für eine vorläufige Publikation zur
Verfügung gestellt.

Reliquiare von
Darmstadt, vom Louvre, Musöe Cluny
von Buda-Pest u. a. m. Dieser Nachweis ist
nicht schwer zu führen und ergiebt sich eigent-
lich schon aus einer blofsen Vergleichung der Ab-
bildungen des Stuttgarter Reliquiars mit den
obengenannten. Dennoch mögen hier einige
besonders in die Augen fallenden Merkmale
der Uebereinstimmung genannt werden. Der
an beiden Langseiten des Stuttgarter Reliquiars
vorhandenen Reihung der 13 (!) Apostel und
des abgebrochenen Christus zwischen Pilastern,
welche einen horizontalen Fries (ohne Arka-
den!) mit den eingegrabenen Namensinschrif-
ten darauf tragen, entspricht völlig der An-
ordnung an den Langseiten des Pester Käst-
chens.2) Das pfeifen form ige Ornament am
Sockel des Stuttgarter Kästchens findet sich
wieder am Kästchen des Louvre, während dar-
über das Zickzackornament mit Palmetten da-
zwischen an den Seitenpfosten des Pester Reli-
quiars, sowie am Sockel der Darmstädter turris
wiederkehrt. Ebendort findet sich auch über
den Arkaden ein Vierblattfries, welchem ein sol-
cher an der Vorderseite des Stuttgarter Reli-
quiars über der Kreuzigung entspricht. Auch
die Pilaster, welche am Stuttgarter Reliquiar vor-
erwähnte Apostelfiguren trennen, zeigen sowohl
in der Bildung der Basen, wie der Kapitale eine
so grosse Verwandtschaft mit den Pilastern der
übrigen erwähnten Denkmäler, dafs ein Ein-
gehen in die Einzelheiten kaum nothwendig
ist. Dasselbe gilt vom Stil der in voller Vor-
deransicht stehenden Apostelfiguren am Stutt-
garter Reliquiar mit den straff angezogenen
Gewändern, den nach abwärts gesenkten
Fußspitzen, dem feinen, schematischen Ge-
wandgefältel, den dicken Lippen, Glotzaugen,
strähnigen oder kugeligen Barten und Kopf-
haaren.

Auch die Eintheilung der schrägen Dach-
flächen am Stuttgarter Reliquiar durch flache,
mit eingeritzten Ornamenten verzierte Streifen
kehrt an den Abdachungen der Darmstädter

2) Von einem weiteren Reliquiar dieser Gattung
im Besitze des Grafen Stroganoff in Rom, welches
ebenfalls unter einem horizontalen Fries Apostel-
figuren zwischen Pilastern zeigt, hatte Herr Dr. Graeven
ebenfalls die Güte, uns noch unveröffentlichte Auf-
nahmen zu schicken.
 
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