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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 24.1913

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Bayersdorfer, W.: Karl Haider
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https://doi.org/10.11588/diglit.6192#0051

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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXIV. Jahrgang 1912/1913 Nr. 6. 8. November 1912

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A.Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.

KARL HAIDER f

In der Nacht vom 28. zum 29. Oktober, eine
halbe Stunde nach Mitternacht, verschied in einem
kleinen Häuschen des am Fuß der bayrischen Alpen
gelegenen Dorfes Schliersee ein einfacher, schlichter
Mann, in dem Deutschland einen seiner größten und
eigenartigsten Künstler, einen seiner seltensten und
edelsten Menschen besessen. Ein unheilbares, erst
seit wenig Monaten in seiner ganzen Gefährlichkeit
erkanntes Magenleiden hat dem Leben eines Körpers
ein Ende bereitet, der vermöge seiner sonst durchaus
gesunden und unglaublich zähen Konstitution noch
Jahrzehnte der Träger einer Seele hätte sein können,
die ihre schöpferische Kraft in tiefempfundenen
Werken bildender Kunst zu äußern gewohnt war.
Das Dasein dieses Mannes war reich an Kämpfen und
Entbehrungen, reicher aber an innerer Harmonie und
den großen geistigen Gütern, die allein uns über das
Getriebe der Menschheit in jene Region zu heben ver-
mögen, wo Glück, Zufriedenheit und Friede herrschen.

Karl Haider war am 6. Februar 1846 in der
Münchener Vorstadt Neuhausen in einem kleinen,
heute noch stehenden Jagdschlößchen als der Sohn
des Kgl. Leibjägers und bekannten Zeichners Max
Haider und seiner aus Kurzell im südlichen Baden
stammenden Gattin, einer geborenen Feßler, zur Welt
gekommen. Beide Eltern haben dem Sohn das Beste
ihres eigenen Wesens, ihrer Stammeseigentümlichkeit
mitgegeben, und aus dieser Mischung oberbayrischen
und alemannischen Blutes erwuchs seine groß emp-
findende Seele, deren Werke Ewigkeitswert haben
und für uns eine Quelle stets neuer Beglückung sind.
Mit zwölf oder dreizehn Jahren begann Haider zu
zeichnen, nachdem er sich schon früher einer andern
Kunst innig verbunden gefühlt hatte, der Musik, die
ihn als treueste Freundin und Trösterin bis an sein
Lebensende begleiten sollte. 1860 oder 61 trat er
in die Münchener Kunstschule ein, wo Professor
Hermann Dyk sein Lehrer war, 1862 in die Kgl.
Akademie der bildenden Künste, wo er zwei Jahre
den Antikensaal unter Joh. Georg Hiltensberger und
e|n Jahr die Malklasse unter Hermann Anschütz be-
suchte. Einen Einfluß auf seine künstlerische Ent-
wicklung hat nach seiner eigenen Aussage1) keiner
er Akademielehrer auf ihn ausgeübt und nur in der
Natur und den großen alten Meistern anerkannte er
seine wahren Lehrer. Schon während der Kunst-
scVulze'* und später auf der Akademie war er mit
Adolf Oberlander, Franz von Defregger und Wilhelm
Leibi bekannt geworden, Ende der sechziger Jahre
mit dem sehr für ihn eintretenden Adolf Bayersdorfer,

1) Alfred Graf, Schülerjahre, Berlin 1912. S. 294.

durch den er wieder zu dem anregenden, leider so
früh verstorbenen Viktor Müller in Beziehung trat.
Dem Kreis, der sich um diesen scharte, gehörten
außer Leibi und Bayersdorfer auch die Maler Hans
Thoma, Wilhelm Steinhausen, Adolf Stäbli, Otto
Fröhlicher, später Wilhelm Trübner, der Dichter Martin
Greif und der Psychologe Karl du Prel an, mit
welchen allen Haider treue Freundschaft hielt und
unter denen er, namentlich in Viktor Müller und Leibi,
seine ersten und stärksten Verehrer wußte. Vor allem
ein kleines Bild von 1873, zwei Bauernmädchen im
Garten unter einem Blütenbaum hatte das Entzücken
der beiden Künstler wachgerufen1) und auf Leibis
Drängen mußte Hirth du Frenes, der sich gerade in
sehr guten Verhältnissen befand, das Werk erwerben.
Aus seinem Besitz ist es vor einigen Jahren in die
Sammlung des Münchener Schriftstellers Wilhelm
Weigand übergegangen. 1874 führte Haider ein
Münchener Bürgermädchen namens Katharina Brugger,
eine Nichte des Bildhauers Friedrich Brugger, als Frau
heim und nach Aussage seiner Freunde hatte das
Glück ihn in ihr ein Wesen finden lassen, das voll-
kommen seiner würdig, von ähnlich tiefer Gemütsart
und gleicher Reinheit und Hoheit der Gesinnung war.
Mit ihr verbrachte er vier glückliche Monate des
Jahres 1875 in Florenz in lebhaftem Verkekr — sie
wohnten, wenn ich nicht irre, sogar im gleichen Haus —
mit Arnold Böcklin, der ebenfalls den Zug zum
Großen in Haiders Kunst fühlte und sich außerdem
an seinem ausdruckvollen Gesang und Klavierspiel
erfreute. Die glückliche Ehe dieser seltenen Menschen,
aus der zwei Söhne hervorgegangen waren,, sollte
leider nur von kurzer Dauer sein. Anfang der acht-
ziger Jahre erlag die Frau, die uns ein Bildnis des
Künstlers in ihrer ganzen Feinheit schildert, einem
tückischen Lungenleiden und ließ Mann und Kinder
in unglücklichen Verhältnissen zurück. Haider hatte,
da sein Vater früh gestorben und die Mutter nicht
in der Lage war, ihn ausreichend zu unterstützen,
schon in jungen Jahren stark mit Entbehrungen zu
kämpfen gehabt und soll z. B. einmal eine Reihe von
Monaten in der Holzloge eines Kameraden kampiert
haben. Seine schlimmste Zeit erduldete er aber in
den zwei nun folgenden Jahrzehnten, als seine Kunst
sich immer eigenartiger und größer entwickelte, beim
Publikum und selbst bei seinen Kollegen jedoch fast
gar kein Verständnis und keine Käufer fand, als hierzu
noch andere schwere Störungen seines Seelenlebens
traten, verursacht durch eine höchst unglückliche
zweite Heirat, die er Ende der achtziger Jahre mit

1) Vergl. auch: Hans Thoma. Im Herbste des Lebens.
München 1909. S. 46.
 
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