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Kunstwart und Kulturwart — 33,1.1919-1920

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1919)
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Clemen, Paul: Der österreichische Kunstausverkauf
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Liebscher, Artur: Vom Volkslied der Flamen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14436#0297

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ein dritter folgen, und mmr wird nach einem Vierteljahr Wien ausge-
powert haben und doch nicht satt sein. Zuerst werden die Depots und Re--
serven geleert, dann geht man an die eigentlichen Sammlungsobjekte heran,
an die großen Ausstattungsstücke, und den Schluß machen eben die ganz
großen Kunstwerke. Wenn Wien eine Hoffnung heute hat, nachdem es
nicht mehr Reichshauptstadt, nicht mehr Kaiserstadt ist, nur noch eine ver--
lorene vorgeschobene deutsche Vorpostenstadt fast ohne tzinterland, die von
drei Seiten von einem feindseligen widerstrebenden, sremdsprachigen Land
eingeschlossen wird, und doch für die deutsche Kultur eine niemals zu ent--
behrende, sprudelnde Quelle voll köstlicher Frische, der notwendige Gegen--
pol zu der Herbigkeit und Schärfe des norddeutschen Wesens, so ist es die
alte ehrwürdige Tradition, die Stimmung ehrfürchtiger Trauer, die um
die mißhandelte und gestürzte tzerrscherin an der Donau doch geblieben ist;
ist es vor allem der unendliche Kunstbesitz, der diese Stadt nach wie vor,
wenn erst diese europäische Krankheit vorüber sein wird, zu einem Ziel
von Hunderttausenden machen wird. Die entthronte und hungernde Köni--
gin bricht jetzt selbst aus der Krone, die sie auf dem Schoß hält, eine Perle
und einen Edelstein nach dem audern und wirft sie weg, um zuletzt tränen-
los nur noch den leeren Reif in den Händen zu halten. Weiß Öfterreich,
daß es mit diesem Schritt, mit dem Eingeständnis, daß nur eine solche
Verzweiflungstat seine Finanzpolitik, die nur von heute auf morgen
sorgt, retten kann, sich des letzten Kredits, des wichtigsten, des morali-
schen Kredits völlig beraubt?

Die Gefahr ist eine so ungeheuerliche, daß die öffentliche Weinung auch
in weiteren Kreisen außerhalb der alten schwarzgelben Grenzen sich damit
befassen müßte. Es handelt sich nicht nur um eine Wiener, nicht nur um
eine österreichische Angelegenheit, es ist zum mindesten auch eine deutsche
Angelegenheit und vielleicht eine europäische Frage. Denn es liegt in ihr
eine Gefahr der Ansteckung ohnegleichen. Es würde der kunstfeindlichste
Schritt sein, den je eine desperate Regierung begangen hat, und der selbst-
mörderischeste dazu. Wir sehen die Gefahr der Nachahmung, daß wildeste
Begehrlichkeit geweckt wird, daß eine irregeleitete Zufallsmajorität hier
auch anderswo die Hand an Schätze legen könnte, die Iahrhundsrte zu--
sanunengetragen haben und um deren Verschwinden Iahrhunderte trauern
würden. Soll das künstlerische Deutschland nicht ausstehen und warnend
und beschwörend die tzände gegen die am Leben und an der Zukunft ver--
zweiselnde Schwester an der Donau erheben?

Bonn Paul Clemen

Wir geben diesen Aufruf unseres Mitarbeiters im vollen llmfange
wieder und wünschen, alle deutschen Blätter täten das nach dem in der
„Frankfurter Zeitung" erschienenen Texte, damit er nicht nur als der
Mahnruf eines Einzelnen oder einiger Weniger, sondern als ein Mahnruf
der deutschen BiLung erschiene. A

Vom Volkslied der Flamen

^H^om flämischen Volkslied haben wir bisher nur wenig gewnßt, obgleich
sich dabei um die Kunst eines germanischen Bruderstammes handslte.
Ist doch manches seiner Lieder sogar auf deutschem Boden entstanden
und erst später nach dem Westen gewandert. Freilich ahnen die Flamen
heute selbst nichts mehr von dem Reichtum, den sie einst besaßen, bevor die

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