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GIOTTO.
als er ißß6 harb, /o Jahr alt gewefen, allo bereits im Jahre 1266 geboren und
mithin nur ein Jahr jünger als Dante war.
Doch wie dem auch lei. Jedenfalls herricht eine auffallende Uebereinhim-
mung in der Begabung und künhlerilchen Richtung beider Männer. Wie Giotto
ein trefflicher Menschenkenner war, lo lälst Dante feinen Leier immer wieder
tiefe Blicke thun in das unergründliche Herz des Menlchen. Wie Giotto einen
offenen Blick für leine Umgebung zeigt, lo auch Dante.
Schnaafe hat eingehend von diefem Verhältniffe des Dichters zur Natur im wei-
teren Sinne des Wortes gehandelt. (Gesell, d. bild. K. 2. Auh. VII. S. ßßp fg.) Dante
hat in den poetilchen Vergleichen, die er fo gern in feine Betrachtungen hreut, nicht
wie leine Vorgänger aus dem conventioneilen metaphorischen Vorrathe gelchöpft,
londern leine Bilder der eigenen Erfahrung und einer feinen Beobachtung des
Lebens entnommen. Wie frifch und lebendig weils er Vorgänge aus dem täg-
lichen Leben, und zwar wie he in den verlchiedenhen Claffen der Gelelllchaft heb
ereignen, vor die Phantahe des Lefers zu zaubern! Dielen httenbildlichen Zug
haben wir ja aber auch wiederholt bei Giotto hervorzuheben gehabt.
Selbft in manchem negativen Betracht finden wir eine gewiffe Uebereinhim-
mung. Obgleich Dante in feinem grolsen Gedichte uns vielfach antike Gehalten
vorführt, ja den Virgil hch zum Führer erkoren, fo ih doch fein Verhältnis zur
Antike ein welentlich anderes als das der Humanihen. Erh Petrarca begeihert
hch für die Antike in formaler Hinhcht. Und Giotto? Ganz ausnahmsweile fin-
den wir bei ihm eine Figur wie die nSpes« in Padua, welche eine Nachahmung
antiker Werke vorausletzen lälst. Es toll die Möglichkeit nicht geleugnet werden,
dals unlerem Meiher in feinem Kampfe gegen die Unnatur des Byzantinismus
die, durch die PiSaner Bildhauerlchule kurz vorher wieder zu Ehren gebrachte
Antike beigehanden habe, aber von directen Spuren antiken Einhuffes auf leine
Kunhweife kann kaum geredet werden.
Wie dem Maler wahrhafte Formend chönheit zwar nicht unzugänglich war,
aber doch hinter dem Streben, kräftig zu charakterihren zurtickhand, lo hat auch
der Dichter hch nicht gefcheut, an vielen Stellen feines Werkes, wo es ihm durch
den Gegenstand geboten Schien, geradezu in's DraStifche zu fallen.
Unter den Tugenden, die Dante in Seinem grofsen Gedichte preiit, Steht die
Energie obenan, und nicht blofs theoretisch hat er hch für he begeistert; lein
ganzes dichterisches Schaffen trägt das Gepräge hoher Willenskraft. Vor allem
Anderen energifch ift aber auch die Darhellungsweife GiottoL.
DanteL Dichtung führt dem Leier SelbSt im Reiche der Schatten immer wie-
der Menlchen von Fleilch und Blut, Individuen vor; Giotto hat an die Stelle
conventioneller Schattenwefen Charaktere geletzt.
Dante hat die damals noch junge italienische Nationallprache zu hohen Ehren
geführt; Giotto hat die Malerei von erharrten fremden Formen befreit und he
ebenfalls eine nationale Sprache reden gelehrt.
Wie weit beruht die Verwandtschaft zwilchen Dante und Giotto auf ange-
bornen Gaben, wie weit ih he eine Folge davon, dals Beide Kinder eines Landes,
einer Zeit Sind?
Dals Dante GiottoL Grötse erkannt hatte, bewies uns ein Auslpruch, deflen
ich im Eingänge dieler Studie erwähnte, ich fchlielse dielelbe mit einer Betrach-
tung, welche Vafari an jenes Wort der Divina Commedia knüpft: ))Giotto hat
GIOTTO.
als er ißß6 harb, /o Jahr alt gewefen, allo bereits im Jahre 1266 geboren und
mithin nur ein Jahr jünger als Dante war.
Doch wie dem auch lei. Jedenfalls herricht eine auffallende Uebereinhim-
mung in der Begabung und künhlerilchen Richtung beider Männer. Wie Giotto
ein trefflicher Menschenkenner war, lo lälst Dante feinen Leier immer wieder
tiefe Blicke thun in das unergründliche Herz des Menlchen. Wie Giotto einen
offenen Blick für leine Umgebung zeigt, lo auch Dante.
Schnaafe hat eingehend von diefem Verhältniffe des Dichters zur Natur im wei-
teren Sinne des Wortes gehandelt. (Gesell, d. bild. K. 2. Auh. VII. S. ßßp fg.) Dante
hat in den poetilchen Vergleichen, die er fo gern in feine Betrachtungen hreut, nicht
wie leine Vorgänger aus dem conventioneilen metaphorischen Vorrathe gelchöpft,
londern leine Bilder der eigenen Erfahrung und einer feinen Beobachtung des
Lebens entnommen. Wie frifch und lebendig weils er Vorgänge aus dem täg-
lichen Leben, und zwar wie he in den verlchiedenhen Claffen der Gelelllchaft heb
ereignen, vor die Phantahe des Lefers zu zaubern! Dielen httenbildlichen Zug
haben wir ja aber auch wiederholt bei Giotto hervorzuheben gehabt.
Selbft in manchem negativen Betracht finden wir eine gewiffe Uebereinhim-
mung. Obgleich Dante in feinem grolsen Gedichte uns vielfach antike Gehalten
vorführt, ja den Virgil hch zum Führer erkoren, fo ih doch fein Verhältnis zur
Antike ein welentlich anderes als das der Humanihen. Erh Petrarca begeihert
hch für die Antike in formaler Hinhcht. Und Giotto? Ganz ausnahmsweile fin-
den wir bei ihm eine Figur wie die nSpes« in Padua, welche eine Nachahmung
antiker Werke vorausletzen lälst. Es toll die Möglichkeit nicht geleugnet werden,
dals unlerem Meiher in feinem Kampfe gegen die Unnatur des Byzantinismus
die, durch die PiSaner Bildhauerlchule kurz vorher wieder zu Ehren gebrachte
Antike beigehanden habe, aber von directen Spuren antiken Einhuffes auf leine
Kunhweife kann kaum geredet werden.
Wie dem Maler wahrhafte Formend chönheit zwar nicht unzugänglich war,
aber doch hinter dem Streben, kräftig zu charakterihren zurtickhand, lo hat auch
der Dichter hch nicht gefcheut, an vielen Stellen feines Werkes, wo es ihm durch
den Gegenstand geboten Schien, geradezu in's DraStifche zu fallen.
Unter den Tugenden, die Dante in Seinem grofsen Gedichte preiit, Steht die
Energie obenan, und nicht blofs theoretisch hat er hch für he begeistert; lein
ganzes dichterisches Schaffen trägt das Gepräge hoher Willenskraft. Vor allem
Anderen energifch ift aber auch die Darhellungsweife GiottoL.
DanteL Dichtung führt dem Leier SelbSt im Reiche der Schatten immer wie-
der Menlchen von Fleilch und Blut, Individuen vor; Giotto hat an die Stelle
conventioneller Schattenwefen Charaktere geletzt.
Dante hat die damals noch junge italienische Nationallprache zu hohen Ehren
geführt; Giotto hat die Malerei von erharrten fremden Formen befreit und he
ebenfalls eine nationale Sprache reden gelehrt.
Wie weit beruht die Verwandtschaft zwilchen Dante und Giotto auf ange-
bornen Gaben, wie weit ih he eine Folge davon, dals Beide Kinder eines Landes,
einer Zeit Sind?
Dals Dante GiottoL Grötse erkannt hatte, bewies uns ein Auslpruch, deflen
ich im Eingänge dieler Studie erwähnte, ich fchlielse dielelbe mit einer Betrach-
tung, welche Vafari an jenes Wort der Divina Commedia knüpft: ))Giotto hat