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Dohme, Robert
Kunst und Künstler des Mittelalters und der Neuzeit: Biographien u. Charakteristiken (2,1): Kunst und Künstler Italiens bis um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts — Leipzig, 1878

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Dobbert, Eduard: Pietro Lorenzetti
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https://doi.org/10.11588/diglit.36088#0160

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42

PIETRO LORENZETTI.

der Maria^ jetzt in der Sacriftei des Domes zu Siena. Die Infchrift nennt unteres
Künftlers Namen to wie das Jahr 1342. (Abb. auf S. 41.)
Der mittlere Theil des Bildes entlpricht der hergebrachten Compofition von
Geburtsfcenen; infofern wir am Boden vor der Wöchnerin zwei Wärterinnen mit
dem Bade des Kindes befchäftigt finden. Während aber noch Giotto bei der
^Geburt Jefu« in Atfih und derjenigen Mariä in der Arena-Capelle zu Padua in
Anlehnung an die Tradition das Kind zweimal auf einem und demfelben Bilde
darftellte; fehen wir es hier nur einmal; wie es von der; die Temperatur des
Walfers prüfenden Wärterin auf dem Knie gehalten wird. Dafs die zweite Wart-
frau Waffer aus einer Kanne in das Badegefäß gießt; ilt ein typifcher Zug; wel-
chen man immer wieder in mittelalterlichen Darftellungen der Geburt Jefu antrifft.
Pietro Lorenzetti mag das Motiv für dielen ganzen mittleren Theil feines Bildes
der Domkanzel Niccolö Pifanoß entnommen haben; erinnert doch die Stellung
feiner Anna nicht wenig an diejenige der Maria in der ^Geburt Chrifti« an der
Kanzel. Dafs aber in der Zeit; in welcher Pietro diefes Werk Ichuf; auch in
Siena bereits jene Luit am eingehenden Charakterihren der darzuftellenden Vor-
gänge; welche für die Kunft des 15. Jahrhunderts lo bezeichnend ift; fich im
Keime zu zeigen begann; darauf deutet die liebevolle Behandlung der ganzen
Situation. Zu Füßen der auf einem genau der Wirklichkeit nachgeahmten Bette
liegenden Wöchnerin fitzt ein Mädchen mit einem Fächer. Rechts tragen zwei
Pflegerinnen eine Kanne und anderes Geräth herbei. Aüch in Giottoß entfjare-
chendem Bilde zu Padua fanden wir gefchäftige Frauen.; die fich der Pflege der
betagten Anna widmeten. Wahrfcheinlich hat fich der fienefifche Künftler feinen
offenen Blick für die Wirklichkeit unter dem Einfluß giottesken Kunftgeiftes an-
geeignet. In dem linken Drittel des Bildes; das uns in einen Vor- oder Neben-
raum der Wochenftube fehen läßt; fitzt neben einem andern Greife der betagte
Joachim; welchen!; wie es fcheint; foeben über das Befinden der Gattin Bericht
erftattet wird. Voller Aufregung laufcht er den Worten des Boten. In wirkfamem
Contraft fteht die Lebhaftigkeit diefes Vorganges zu dem ruhigen abgemeffenen
Tempo; welches alles Thun in der Wochenftube beherrfcht.
Ist die ganze Situation klar gegeben; fo läfst doch im Einzelnen der Aus-
druck der meiften Figuren viel zu wünfchen übrig. Qie abgefpannten Mienen der
Wöchnerin ließen fich allenfalls durch das Beftreben des Künftlers; fie als noch
matt und fchwach zu fchildern; erklären; der gleichmäßig gelangweilte Ausdruck
der übrigen Frauen aber dürfte mit einer Schwäche im Charakterifirungsvermögen
des Künftlers zufammenhängen. Warum giebt er ihnen allen halb gefchloffene;
gar zu kleine Augen? Andererseits ift mit Recht auf die Anmuth einiger Figureip
befonders des fchreitenden Mädchens mit der Kanne; hingewiefen worden; doch
kann ich diefes nur von der Geftalt und deren Bewegung; nicht aber vom Kopfe
gelten laffen.
Die Farbe des Bildes hat fehr gelitten. Urfprünglich fcheint es in helleren
Tönen gehalten gewefen zu fein; als die benachbarten Bilder Duccioß; mit ihnen
gemein hat es aber den grünlichen Ton der Schatten.
Vielleicht gehörte die kleine figurenreiche ^Kreuzigung«; gleichfalls in der
Domfacriftei; zur Predella des eben befchriebenen Gemäldes. Sie erinnert an das
große fienefifche Kreuzigungsbild in der Unterkirche von S. Francesco zu Affifi;
von welchem weiter unten noch die Rede fein wird.
 
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