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Dohme, Robert
Kunst und Künstler des Mittelalters und der Neuzeit: Biographien u. Charakteristiken (2,1): Kunst und Künstler Italiens bis um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts — Leipzig, 1878

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Woermann, Karl: Masaccio: geb. 1401 in San Giovanni, † wahrsch. 1428 in Rom
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https://doi.org/10.11588/diglit.36088#0389

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MASACCIO.

alten italienifchen SchriftFeller dem Mafaccio in der Kunftgefchichte angewiefen,
wird uns durch feine hcheren, erhaltenen Werke genugfam betätigt. Jene alten
Schriftfteller fühlten ftch naturgemäfs zunächft durch die frappante Wahrheit
feiner Gemälde überrafcht. So fagte fchon 1481 Christoforo Landino in feinem
Kommentar zum Dante, unfer Künftler fei ein ausgezeichneter Erfinder von
grofser Gabe plaftifcher Darftellung gewefen, weil er lieh blos auf die Nach-
ahmung des Wahren und das Relief feiner Figuren verlegt habe. Auch fei
er ausgezeichnet in der Perfpektive gewefen, und habe fehr leicht gearbeitet,
fo dafs er wahrfcheinlich das höchfte Ziel der Vollkommenheit erreicht haben
würde, wenn er nicht fchon mit 2/Jahren geftorben fei. Auch Vafari lobt, wie
wir gefehen haben, vor allen Dingen die Naturwahrheit und die perfpektivifchen
Fortfehritte unteres Meifters. InderThat, es ift leicht erklärlich, dafs die Alten
fo urtheilen mufsten, und ich begreife nicht, wie Zahn ftch über ihr Urtheil
wundern konnte; denn die malerifchen Frrungenfchaften, die uns heutzutage als
nothwendige, ja als felbftverftändliche technifche Vorausfetzungen jedes Gemäldes
erfcheinen, nämlich, dafs die Welt der Erfcheinungen einigermafsen fo, wie he
hch auf der Netzhaut unteres Auges abbildet, oder wie wir he auf der Fläche
der Glasfcheibe, durch welche wir he beobachten, vertheilt fehen, oder wie eine
gute Photographie he wiedergiebt, dafs he fo auch mit Hülfe der Finear- und der
Fuftperfpektive und aller Kenntniffe der Farbenvertreibung in einheitlicher und
zufammenhängender Gehalt auf die Fläche des Bildes gebannt werde, alle
diefe Errungenfchaften, welche eine wirklich vollendete Malerei erft ermöglichen,
wenngleich he nicht allein ihr Velen ausmachen, wurden erft durch Mafaccio und
einige mitftrebende Künftler, praktifch aber vor allen Dingen durch unfern Meifter,
der Kunft für alle Zeiten erworben. Vor Mafaccio hatte überhaupt keine Zeit
und kein Volk, hatten wahrfcheinlich nicht einmal die alten Griechen und Römer
die Malerei in der genannten Weife emanzipirt und ihr ihre eigene Feiftungsfähig-
keit, ja ihr im technifch äufseren Sinn allerdings eigentliches Wefen zum Be-
wufstfein gebracht. Es ift daher nur natürlich, dafs man als das Epochemachende
in Mafaccio's Werken zunächft gerade diefe, wie die Gefchichte vom Ei des
Columbus wirkenden technifchen Neuerungen anfah. In der That hnd he zunächft
das Epochemachende. Und wenn wir aufser ihnen noch einen Rhythmus der
Finien, eine dramatifche Febendigkeit, eine Tiefe der Charakteriftik und einen
Adel der geiftigen Empfindung in feinen reifften Werken entdecken, eine Reihe
von Eigenfchaften, die ihn nicht nur über feine Vorgänger, fondern auch über
feine nächften Nachfolger hoch empor heben und ihn den gröfseften Künftlern
aller Zeiten anreihen, fo ift das für uns, die wir uns jene Neuerungen gar nicht
mehr fortdenken können, zunächft freilich die Hauptfache, für die kunftgefchicht-
liche Forfchung aber ift es nur ein Zuwachs feines Ruhmes, der es auch uns
doppelt fchmerzlich emphnden läfst, dafs es diefem gewaltigen Genius nicht
befchieden gewefen, uns mit PTüchten feines vollgereiften Mannesalters zu
befchenken.
 
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