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Die Gartenkunst — 4.1902

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Zimmermann, Wilhelm: Die königlichen Gärten Oberbayerns in kunstgeschichtlicher und kritischer Beleuchtung, [9]
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https://doi.org/10.11588/diglit.22266#0180

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174

DIE GARTENKUNST

IV, 10

dessen Scheitel und den jenseitigen Abhang mit dichtem
Fichtenbestand, gegen das Schlofs eine sehr ungleich ge-
staltete Bergwiese für den Terrassenbau freilassend. Links
von diesem ist die weite Wieseneinbuchtung durch zer-
streut stehende alte Birken geschmückt; dies tritt in guten
Gegensatz zu der mehr bewaldeten rechten Umgebung der
Terrassen.

Eine enorme Linde, wohl die letzte von denen, die dem
Bauernhofe einst den Namen gaben, verdeckt, vom Schlosse
gesehen, die Treppen und Stützmauern wohl zu einem
guten Drittel mit der zierlich gegliederten Silhouette ihrer
Laubmassen. (Abbild. S. 175). Man sieht an diesem Bei-
spiele wiederum aufs deutlichste, wie ganz aufserordentlich
der Totaleindruck solcher Architekturen gewinnt, wenn sie
teilweise durch das Grün der Vegetation verdeckt werden.

Bescheidenen Erachtens ist an diesem Gesamtarrange-
ment, das Effners Leitung unterstand, etwa auszusetzen,
dafs der schöne Marmortempel die wuchtigen architek-
tonischen Massen nicht genügend abschliefst. Das Ver-
hältnis wird günstiger bei hochgewähltem Standpunkte am
gegenüberliegenden oberen Parkrande, da dann erst die
letzte, oberste Terrassierung zur Geltung und Entwickelung
kommt. Ursprünglich war auf der Höhe der ersten Terrasse
ein prunkvolles Theater geplant.

Wenden wir den Blick vom Schlosse nordwärts, so
finden wir allerdings in etwas beengender Nähe den bereits
erwähnten Aufbau einer Wassertreppe, oben gekrönt durch
einen aufserordentlich schönen Treillage-Pavillon mit dem
Wasserreservoir. Links und rechts begleiten zwei gej:ad-
einige Laubengänge die reich geschmückten Marmorwangen
der Kaskade den Berg hinab (Abbild. S. 177). Den unteren
Abschlufs bildet eine Pelsennischo mit der köstlichen
Neptunsgruppe Wagmüllers (Dreigespann mit Tritonen).

Beiderseitig von dieser stark markierten Hauptachse
ist die Ursprünglichkeit des Bergabhanges durch zwei
weite, viertelkreisförmig angeordnete Laubgänge unter-
brochen, die den Zugang zu dem erwähnten Aussichts-
pavillon vermitteln. Die Uberzeugung, dafs die Kaskade
nicht ganz isoliert den freien Bergabhang durchschneiden
durfte, dafs ferner die angrenzenden Gebiete zu dem regel-
mäfsigen Gartenteil hinzugenommen und zusammengefafst
werden mufsten, gab wohl diesen Gedanken ein, auch ent-
standen durch die Steilheit des Terrains Schwierigkeiten
für die Wegeführung, zumal bei symmetrischen Formen.
Protz der vollen Würdigung dieser Umstände erlaube ich
mir dennoch die glückliche Wirkung dieser Bogengänge in
Zweifel zu ziehen.

Über diese symmetrischen Partien schweift das Auge
mit Genufs über die mit Felsblöcken hie und da über-
streuten Matten zu dem bergansteigenden Hochwald, den
enorme alte Buchen und Bergahorn im prächtigen Kranze
umsäumen. In grofsen ruhigen Linien steigen diese ge-
schlossenen Bergwälder am Rande des den Park aufneh-
menden Wiesenhanges ins Thal hinab.

Was nun diesen Park betrifft, so ist schon früher da-
rauf hingewiesen, dafs ein solcher hier nicht zu besonderer
Geltung kommen konnte. Die vereinzelten, an den rati-
schenden Rinnsalen der Wiese neben Steintrümmern sich

erhebenden grofsen und kleinen Fichten und mannigfaches
Strauchwerk wirken so überzeugend wahr und dorthin ge-
hörig, dafs es umsomehr zum Bewufstsein kommt, wieviel
weniger dies von den Parkpflanzungen gesagt werden kann.
Ob hier besonders zwingende Umstände mitbestimmend
waren, ist mir nicht bekannt; doch stehen diese Pflanzungen
mit Effners Grundsätzen in vollem Widerspruche, da auch
die Nähe der Prunkgärtchen am Schlosse sie nicht ge-
nügend motiviert. Auf die Gefahr hin, inkonsequent zu
scheinen, mufs ich dagegen gestehen, dafs mir die Auf-
stellung mächtiger Palmen, Musa etc. (in Kübeln) auf den
Terrassenmauern des maurischen Kiosks, oben am
Waldessäume, von vorzüglicher Wirkung schien (Abbild.
S. 179). Die nahe Beziehung dieser Pflanzenformen zu der
verschwenderischen orientalischen Architektur genügt voll-
auf, sie zu rechtfertigen, wenn man sich mit der Hinge-
hörigkeit des Bauwerkes einverstanden erklärt. In meinen
Augen hat die grofse Einheit des ursprünglichen Land-
schaftsbildes dadurch keinen Abbruch gelitten. Wenn dieses
jedoch durch Anpflanzen fremder Pflanzentypen geschieht,
verhilft sich die Natur in unerwarteter Weise zu ihrem Rechte.

Nicht die Ungunst der Temperatur weist den fremden
Eindringling zurück, sondern der Schnee. Die wenigen
Laubbäume dieser Region (912 m), besonders Bergahorn,
Buchen und Eschen, scheinen mit so kräftiger Ast-
konstruktion ausgerüstet zu sein, dafs auch starke, den
Thalgrund erreichende Schneefälle zu Beginn und beim
Ausgang des Sommers ihnen nichts anhaben können,
während die Zweige der eingeführten Bäume nach jedem
Schnee, der ihre Blätter überschüttet, abgeschlitzt am
Stamme herabhängen, bis endlich die Kraft zu erneuten
Trieben erlischt. Das Landschaftsbild wird jedoch daran
nichts verlieren!

Als ein Belag dafür, wie völlig die Gröfse der Scenerie
alle und jede Detailmalerei in der Landschaft hier entbehr-
lich macht, sei angeführt, dafs der Schreiber dieses nach
bereits mehrwöchentlichem Aufenthalte im Linderhof, wo
ihn Beruf und Neigung selbstverständlich dauernd im
Freien hielten, beim ersten eingefallenen Nebel sich in
eine andere Gegend, in einen anderen Park versetzt
fühlte. Dort die wundervolle Eichengruppe mit kleinen,
um sie verteilten Ausläufern und Vorposten; hier die
lockere Kette von Schneeball- und W'eidengesträuch am
plätschernden Bache, überragt von einzelnen Erlen, in
deren Geäste die Clematis rankt; unweit des herabsteigen-
den Bergwaldes die zierlichen Birken - alles das war
von mir noch nicht bemerkt worden! Zumal vom erhöhten
Standpunkte des anstrebenden Terrains schweift das Auge
über diesen „Vordergrund" zu den thalbegrenzenden Berg-
riesen, zu dem in der Ferne aufblitzenden Lauf des das
Thal durcheilenden, im Frühjahr zu drohender Wildheit
anschwellenden Bergwassers, kurz zu der alles Interesse
gefangen nehmenden Umgebung und nur, wenn diese hinter
den auf- und abwogenden Nebelschleiern entzückend
schön abgetönt verschwindet, kommt der Vordergrund zu
seinem Rechte. (Fortsetzung folgt.)
 
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