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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 19.1908

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Michel, Wilhelm: Geschmacks-Bildung
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https://doi.org/10.11588/diglit.7478#0140

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INNEN-DEKORATION

BEISSBARTH & HOFFMANN—MANNHEIM.

zunächst komisch, fordert die Kritik,
das heigt das Gegensat} - Gefühl
heraus und steht eine Zeit lang
unter dem Fluche der Lächer-
lichkeit. Als im Jahre 1901 die Darm-
städter Künstler-Kolonie ihre erste
große Ausstellung veranstaltete, be-
stand das erste Lebenszeichen von
ihr in einer Juxpostkarte, die sie
verhöhnte und in Tausenden von
Exemplaren verbreitet wurde. Heute
gäbe es das nicht mehr. Warum?
Weil sich die Öffentlichkeit an die
neuen Erzeugnisse gewöhnt hat.

Dieser Weg sollte bewußterweise
überall da beschritten werden, wo
es sich um die Geschmacks-Bildung
der Massen handelt. Besser hieße
es: Geschmacks-Beeinflussung. An
die Sinne, an die Augen und Ohren
muß das Neue unaufhörlich heran-
getragen werden. Nicht schöne Auf-
sähe, Vorträge usw. geben dem Ge-
schmack die Richtung, sondern nur
das körperlich Gegenwärtige, das
Zeigen, Vorführen und Erproben.
Jeder Mensch, auch der Gebildete,
ist auf seine Sinne angewiesen. Von
ihnen lebt sein Geist, auf sie ist er
angewiesen; was er nicht mit Sinnen
erfaßt hat, besitjt er nur halb. Was

BLUMRN-STAN DER NACH ENTWURF VON
O. PRUTSCHER— WIEN. BEISSBARTH är
HOFFMANN, A.-ö., MANNHEIM-RHEINAU.

Weißlackierte Blumenständer.

nicht sinnlich auf ihn wirkt, wirkt
nur halb auf ihn. Das oft Ge-
sehene bedarf keiner Begründung
mehr. An etwas gewöhnt sein, das
heißt: an etwas Geschmack finden.

Darum handelt es sich auch bei
den kunstgewerblichen Neuerungen
hauptsächlich um das Zeigen und um
das Gesehen werden. Die Belehr-
ung tut wohl auch etwas, aber ein
unscheinbarer Gegenstand, den der
Neuling in der Hand hält und be-
schaut, tut sicherlich mehr zur Besei-
tigung seines Gegensarjgefühles, als
die feinste ästhetische Erörterung.

Darin liegt unter anderem auch
der Sinn und die Berechtigung der
Ausstellungen, die große Ströme
Volkes an ihren Darbietungen vor-
überleiten. Wenn es in kunstge-
werblichen Kreisen, wie schon be-
hauptet wurde, eine „Ausstellungs-
müdigkeit" gibt, so ist sie im
höchsten Maße ungerechtfertigt.
Könnte man den Wert der großen
kunstgewerblichen Ausstellungen, die
uns die letjten zehn Jahre gebracht
haben, zahlenmäßig ausdrücken, so
käme sicherlich eine höchst respek-
table Summe heraus, wilh. michel.

(Mitteilungen der Ausstellung; München 1908.)
 
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