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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 19.1908

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Schaukal, Richard: Adolf Loos: geistige Landschaft mit vereinzelter Figur im Vordergrund
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https://doi.org/10.11588/diglit.7478#0270

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252

INNEN-DEKORATION

C. R. ASHIiEE, ARCHITEKT.

Woh?ihaus in Oxfordshirr.

ADOLF LOOS.

GEISTIGE LANDSCHAFT MIT VEREINZELTER FIGUR IM VORDERGRUND.

Wien ist die Stadt des liebenswürdigen Dilettantis-
mus. Da der Österreicher aus den Trümmern
seiner historischen Kultuieinheit (der Doktrinarismus
hatte die Fundamente des Gebäudes unterwühlt) den
Geschmack gerettet hat, trägt hier alles, selbst das Ver-
werfliche, gewinnende Züge. Neben marklosem Leicht-
sinn, unbedenklicher Hingabe an Laune und Stimmung
fristet sich eine untiefe Nörgelei, die verblassend an die
einstens typische Grillparzersche Raunzerei gemahnt.
Sie fordert den Mutwillen, gutmütigen Spott heraus.

Die wechselnde Farbe des öffentlichen Lebens ist
bedingt durch zahlreiche unkontrollierbare Strömungen,
Stimmungen unter der Oberfläche. Alle Gegensätze
ordnen sich symphonisch in den nachgiebigen Rahmen
ein. Selbst der politische und soziale Haß enträt nicht
der — so leicht in die Roheit umzuschlagen geneigten
— Gemütlichkeit. Und alles, bis auf das Schlendern
der Bummler, — man sieht hier selten Menschen, die
eilen — hat ein leicht künstlerisches Gepräge.

In dieser anmutigen hellen Stadt gedeiht der Sno-
bismus. Es ist nicht der kaltherzige des berechnenden
Strebers, dessen Weg über Leichen geht; es ist der
warmblütige des Neugierigen.

Alle Welt tut hier bereitwillig überall »mit«. Man
versammelt sich immer wieder zu Komitees, zeigt sich

und zeigt sich einander. Die Presse schlägt gern den
Familienton an. Der Lokalreporter schwelgt in ge-
duldeten Indiskretionen. Der Personenkult, besonders
der Kult der Bretterhelden, erbt sich als ewige Gemüts-
krankheit fort. Man neckt einander, läßt sich aber
auch immer wieder düpieren, denn man staunt gern
und vor allem : man erzählt gern Erstaunliches.

Wien ist die Stadt der Bestrebungen (nicht so
sehr — als Gesamtorganismus — der Streberei, die in
Klassen und Schichten freilich umso ärger wütet). Hier
liabens die Leute gut, die »neu« sind. Alle Welt be-
schäftigt sich mit ihnen. Nicht allzulange freilich. Man
hätschelt das »Originelle«. Aber eines verträgt man
nicht: Konsequenz, Strenge, die unbeirrbare Entwick-
lungslinie. Wer sich nicht modeln lassen mag, an dem
schwankt der fröhliche Schwärm der Bereitwilligen vor-
bei. Und wer gar zu erziehen unternimmt, steht bald
allein. Publikum ist hier immer zu finden und für
alles, auch für jeden Blödsinn und G'schnas. Das Geld
sitzt nicht fest. Man hört taktwiegend leichte Musik
und trinkt dazu mehr, als man sollte.

In dieser lauen Atmosphäre ist das heimisch, was
man als falsche »Sezession« kennt und nach Gebühr
haßt. »Sezession« heißt seit einigen Jahren alles, was
modern halbschlächtig, äußerlich, hohl ist. Daß eine
 
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