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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 19.1908

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Scheffers, Otto: Vorwärts oder Rückwärts?
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https://doi.org/10.11588/diglit.7478#0228

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210

VORWÄRTS ODER RÜCKWÄRTS?

As nach dem Kriege 1870 im deutschen Volke der
Wunsch erwachte, die wiedererrungene nationale
Selbständigkeit durch einen entsprechenden Kunststil äußer-
lich sichtbar zu machen, verfiel man auf den Ge-
danken, die deutsche Renaissance, welche man als den
Ausdruck einer Glanzzeit deutscher Kulturentwickelung be-
trachtete, einfach nachzuahmen. Da aber die Formen-
sprache der Renaissance aus nur wenigen Grundmotiven
gebildet ist, so war man bald an der Grenze der Kombi-
nations-Möglichkeiten angelangt, und es begann jene Hefje
von Stil zu Stil in den 80 er und 90 er Jahren.

Dann kam, etwa ums Jahr 1897, der Umschwung.
Was man vorher mit allen Mitteln der Beredsamkeit
empfohlen, das Nachahmen vergangener Stile, wurde nun
mehr in Grund und Boden verdammt. Noch scheute man
sich vor dem gänzlichen Überbordwerfen des Vergangenen
als vor einem „unreifen, unhistorischen" Beginnen, aber
immer lauter wurde der Unwille gegen die Herrschaft der
historischen Stile bis endlich zum Ereignis wurde, was man
vordem für der Ketyereien allergrößte gehalten hatte, bis die
Losung ertönte: „Fort mit altem
Plunder!" sollte heißen: mit
historischen Stilen und überlie-
ferten Kunsttheorien. Paul Bürck
verdichtete diese Losung sogar
zu einem leibhaftigen Bilde, worauf
man sehen konnte, wie ein hand-
fester Besen rücksichtslos in alten
Papieren herumfuhrwerkte. Es
kam die Zeit des Jugendstiles,
des Experimentierens, des Suchens
nach dem Neuen um jeden Preis.
Das „Dokument deutscher Kunst,
Darmstadt 1901", zeigte noch
Absonderlichkeiten aller Art, gab
aber gerade dadurch Anregungen
zum Nachdenken über viele Fragen
der angewandten Kunst, vor allem
darüber, ob es wirklich von
Nut3en sei, überlieferte Kunst
erfahrungen gänzlich zu miß-
achten. Die dritte „Deutsche
Kunstgewerbe-Ausstellung, Dres-
den 1906", trug bereits einen so
wunderbar einheitlichen Charak-
ter, hielt sich im allgemeinen
so fern von Absurditäten und
vereinigte in so schöner Weise
neue Gedanken mit der Tradition,
daß man annehmen durfte, wir
seien von der Verwirklichung
eines eigenartig nationalen und
lebensfähigen Kunststiles nicht
mehr weit entfernt. Einen Fort-
schritt erwarteten Kunstverstän-
dige nur noch in einer immer
größeren Verfeinerung des Ge-
fühles für Zweckmäßigkeit und
Materialgerechtigkeit der Form,
für die Wahl der Farbenwerte,
der ornamentalen Motive und
der Proportionen. — Leider sollte

Plastik als Träger einer elektrischen Tischlampe.
Modell, von Bildhauer Daniel Stocker Stuttgart.
Ausgef. von Paul Stolz cV Otto Schlee Stuttgart.

sich diese Erwartung nicht verwirklichen. Statt eines
bewußten Fortschrittes nach der mit so viel Glück ein-
geschlagenen Richtung hin, kann man seit kurzem einen
offenbaren Rückschritt insofern beobachten, als eine Anzahl
gerade der besten lebenden Künstler sich wiederum in der
denkbar sklavischsten Weise einem historischen Stil, dem
Biedermännerstil, unterwarfen.

Man kann nichts dagegen einwenden, wenn ein poesie-
voller Illustrator sich in eine vergangene Zeit vertieft und uns
durch seine Werke auf ihre mannigfaltigen Reize aufmerksam
macht, die wir ohne seine Vermittelung vielleicht nicht ge-
schaut haben würden; aber es heißt unsere Zeit ver-
leugnen, wenn wir in falscher Rührseligkeit unsere ganze Um-
gebung auf den Geist einer vergangenen Zeit abzustimmen
suchen und dabei neben den guten auch alle schlechten
Gepflogenheiten jener Zeit übernehmen. Das geschieht,
wenn wir beispielsweise die bereits kleinen Glasscheiben
eines Schrankes mit zahllosen Holzsprossen überkleben,
um kleinere Unterteile zu bilden, wenn wir um Stuhl-
und Tischbeine allerlei dünne Profilleisten leimen, die
beim Eintrocknen des Holzes ab-
springen, wenn wir die abgerun-
deten Ecken und Profilformen
wieder scharfkantig gestalten,
Stuhllehnen aus überzarten, zer-
brechlichen Stäbchen zusammen-
fügen, an Treppen - Geländern
und Gartenmöbeln gleiche, weiß-
lackierte Stäbe und sonst überall
gleichartige Motive bis zum Über-
druß wiederholen, die Formen
von Türen, Fenstern und Füllungen
in widernatürlicher Weise in die
Länge ziehen, zu Möbelbezügen
die zartesten und empfindlichsten
Stoffe verwenden usw. Es fehlt
nur noch, daß wir einen Ofen
wieder zu einem Denkmal, einen
Waschtisch zu einem Altar, das
Waschgeschirr zu Opfergeräten,
eine Wiege zu einer Muschel
ausgestalten und dergl. — Ich
verkenne nicht, daß gewisse gleich-
artige Ursachen dazu beigetragen
haben, unsern modernsten Stil,
dem Biedermännerstil von einst-
mals anzunähern; aber unsere
Zeit ist von der unserer Urgroß-
väter so himmelweit verschieden,
daß die kritiklose Nachahmung
des Biedermännerstiles sich jedem
denkenden Menschen als ein Ana-
chronismus, als ein Rückschritt in
der Kunstentwicklung aufdrängen
muß. Die Künstler, die sich gegen-
seitig in der peinlichen Nach-
ahmung des Biedermännerstiles
zu überbieten suchen, gestehen
damit ein, daß sie an der Grenze
ihrer Leistungsfähigkeit ange-
langt sind und auf Fortschritt ver-
zichten. — OTTO SCHEFFERS—DESSAU.
 
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